bei Nervenschäden infolge von Armfrakturen bei Kindern ist ein ein klar gegliedertes, abgestuftes Vorgehen notwendig. Eine frühe Indikationsstellung und operative Intervention verkürzen das Zeitintervall zwischen Nervenverletzung und Therapie. Somit wird die Reinnervation beschleunigt und die Chance auf eine komplette funktionelle Wiederherstellung verbessert.
Bei 11% der Armfrakturen bei Kindern treten frakturassoziierte Nervenschäden auf.1
Am häufigsten werden sie bei schwer dislozierten suprakondylären Humerusfrakturen beobachtet, gefolgt von Humerusschaft- und Unterarmfrakturen. Suprakondyläre Humerusfrakturen werden am häufigsten durch geschlossene Reposition und Stabilisierung mittels gekreuzter Kirschner-Draht-Osteosynthese versorgt. Die Quote der iatrogenen Läsionen, meist des N. ulnaris, liegt hier bei 10%. Trotz dieser Häufigkeit und bleibenden Nervenausfällen finden sich in der Literatur keine konsistenten Handlungsvorschläge bezüglich Art und Zeitpunkt der Diagnostik, Indikation und Zeitpunkt der Nervenrevision sowie Art der Therapie.2 Nach unserer Erfahrung wird das Ausmaß der Schäden von den behandelnden Unfall- und Kinderchirurgen oft verzögert erkannt. Die mangelnde Kooperation der verängstigten Kinder bereitet im Umgang mit Kindern ungeübten Neurologen Probleme bei der elektrophysiologischen Diagnostik und verhindert eine aussagekräftige Untersuchung. Trotz dieser Widrigkeiten müssen die Kinder rasch und effektiv behandelt werden, um die Zeit der Funktionseinschränkung zu verkürzen und eine komplette funktionelle Wiederherstellung zu erreichen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit haben 2020 die Hamburger Kinderhandchirurgie, der Schwerpunktbereich für periphere Nervenchirurgie des Unfallkrankenhauses Berlin und die in der Thematik erfahrenen dortigen Neurologen eine Stufendiagnostik und einen operativen Therapie-Algorithmus entwickelt.
Der zeitliche Druck zur frühen Erkennung einer schweren Axonotmesis und Neurotmesis erklärt sich durch die Zeit, die durchtrennte Axone zur Ausprossung benötigen (im Schnitt 1 mm/Tag) und die Zeit, in der der Muskel als Erfolgsorgan irreversibel umgebaut wird (1 bis 2 oder 3 Jahre). Der Muskel als Erfolgsorgan atrophiert zunächst. Über den Zeitpunkt, ab dem die Atrophie in einen fettigen und fibrotischen Umbau der Muskelfasern übergeht und damit irreversibel wird, gibt es nur Erfahrungswerte, keine gesicherten Daten.4 Die größten Erfolgsaussichten werden mit bis zu 3 Monaten nach Durchtrennung angegeben. Eine funktionelle Reinnervation kann bis zu einem Jahr erwartet werden. Nach 2 bis 3 Jahren gilt der Umbau als abgeschlossen.
Präoperative klinische Untersuchung
Wenn möglich, sollte präoperativ untersucht werden, ob ein Nervenausfall vorliegt, um zwischen traumatischem und iatrogenem Nervenschaden unterscheiden zu können. Das setzt eine Kenntnis der Nervenuntersuchung und eine gewisse Kooperation der schmerzgequälten Kinder voraus. Durch Bestreichen der Hand in den Innervationsgebieten der 3 Hauptnerven radialdorsal, palmar ulnar und palmar radial kann die Sensibilität einfach überprüft werden. Die motorischen Ausfälle können durch wenige Übungen überprüft werden: der N. medianus durch das Ringzeichen, der N. radialis durch Daumenextension und der N. ulnaris durch Kleinfingerabduktion oder Froment-Zeichen (Abb. 1–3).
Postoperative klinische Untersuchung
Dieselbe klinische Untersuchung wird postoperativ wiederholt. Bei gesichertem iatrogenen Nervenausfall erfolgt eine zügige operative Revision. Eine Perforation oder ein Verziehen des N. ulnaris durch den Kirschner-Draht, ein Verziehen am häufigsten des N. medianus an den Frakturspalt und sogar ein Einklemmen in den Spalt sind möglich. Bei überstarken Schmerzen und/oder neurologischen Ausfällen kann der Verdacht durch eine Neurosonographie erhärtet und der Nerv zügig operativ revidiert werden.
Postoperative Ausfälle bei unklarem präoperativen Status
Früh postoperativ: Konnten die Kinder präoperativ nicht verlässlich auf Nervenausfälle untersucht werden und bestehen postoperativ Ausfälle, ist sowohl ein frakturbedingter Dehnungsschaden als auch eine revisionsbedürftige Verziehung der empfindlichen Nerven möglich. Starke Schmerzen sind immer ein Warnzeichen für ein Kompartmentsyndrom, eine Nervenverziehung oder eine Nerveneinklemmung. Mit der hochauflösenden Nervensonographie kann der Nervenverlauf schon früh postoperativ dargestellt werden. Die umgehende Neurolyse nimmt die Schmerzen und ermöglicht eine rasche Reinnervation.
In den ersten postoperativen Wochen: Ist sonographisch der Nervenverlauf ungestört und sind die Faszikel erhalten, erfolgt alle 2 Wochen eine klinische Verlaufskontrolle (Abb. 4). Bessern sich die neurologischen Ausfälle über 4 Wochen nicht, kann und sollte das Ausmaß des Schadens elektrophysiologisch abgeklärt werden (Tabelle 1).
Bei Neurapraxie und leichter Axonotmesis kann weiter zugewartet werden. Liegt ein höhergradiger axonaler Schaden vor, sollte operativ revidiert werden. Elektrophysiologisch finden sich die entscheidenden Hinweise in der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) in Form eines reduzierten oder fehlenden sensiblen Nervenaktionspotentials (SNAP) und eines reduzierten oder fehlenden muskulären Summenaktionspotentials (MSAP) (Abb.5)
Fazit:
Insbesondere die Neuro-Sonographie und die Elektrophysiologie durch einen erfahrenen und im Umgang mit Kindern geübten Neurologen helfen beim Abschätzen einer möglichen Spontanremission und bei der Indikationsstellung zur operativen Therapie. 3 bis 4 Wochen nach Unfall kann die Entscheidung zur operativen Freilegung fundiert getroffen werden. Bei verzogenen, aber durchgängigen Faszikeln bilden sich die Ausfälle nach exerner, ggf. zusätzlich interfaszikulärer Neurolyse erstaunlich rasch zurück. Bei zerstörten Faszikeln und sekundärer Transplantation kann die Reinnervation der Erfolgsmuskulatur frühzeitiger erfolgen und so die Zeit der Ausfälle verkürzt werden. Nach 1 Jahr und bei Kindern möglicherweise bis zu 2 Jahren werden die motorischen Endplatten abgebaut und der Muskel ist dann unwiederbringlich geschädigt.
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.