München – Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V. (DGCH) erinnert in einem Gedenkband an 308 jüdische Mitglieder, die während der NS-Zeit Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt waren und zum Teil ermordet wurden. „Damit wollen wir uns der Verpflichtung stellen, Zeugnis abzulegen“, erklärte DGCH-Präsident Prof. Dr. med. Tim Pohlemann auf einer Pressekonferenz anlässlich des 134. Chirurgenkongresses in München.
Dort präsentierte Herausgeber Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Steinau zusammen mit der Medizinhistorikerin Dr. phil. Rebecca Schwoch den zweiten Band zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in den Jahren 1933-1945 mit dem Titel „Die Verfolgten“ erstmals der Öffentlichkeit. „Diesen Menschen und ihren Familien wieder einen Platz zu bieten und an sie zu erinnern, aber auch, um zum Nachdenken anzuregen, dafür steht dieses Buch“, sagte Schwoch. Der erste Band aus dem Jahr 2011 war den Reden der Präsidenten in dieser Zeit gewidmet.
Der zweite Band befasst sich mit berufspolitischer Entwürdigung und öffentlicher Diskriminierung: Im April 1933 forderte der DGCH-Vorsitzende Professor Wilhelm Konrad Röpke alle jüdischen Redner auf dem Chirurgenkongress auf, „angesichts der heutigen nationalen Strömung (…) zurückzutreten“. Röpkes Worte markierten den Auftakt zu systematischer Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Chirurgen im Nationalsozialismus. Auf Sanktionen und Entlassungen folgten bald Emigration, Deportation und Ermordung.
Um der Verfolgung zu entgehen und das eigene Leben zu retten, flüchteten rund 150 der verfolgten Chirurgen ins Ausland – vornehmlich in die USA, nach Palästina und England. „Davon konnte in der neuen Heimat wiederum die Hälfte wieder fachärztlich arbeiten oder sogar Karriere machen“, berichtete Schwoch. Doch die Biographien zeigten auch, dass die Emigration selbst erfahrener Chirurgen entehrende Hürden bereitete, etwa in Form erneuter Assistenzjahre, Examensprüfungen, Tätigkeiten weit unter Qualifikation oder gar Arbeitslosigkeit. Sanitätsrat Dr. Jakob Frank beispielsweise, bis 1933 Direktor des Fürther Städtischen Krankenhauses, hielt sich in New York als Altenpfleger über Wasser und starb dort 1953 in bitterer Armut.
Der Gedenkband wolle jedem einzelnen der Verfolgten in einer Kurzbiographie ein Denkmal setzen, heißt es im Geleitwort von Michael Trede. Der ehemalige Präsident der DGCH, selbst als zehnjähriger Junge 1939 aus Nazi-Deutschland geflohen, fügt hinzu: „Es liegt nun an uns, vor allem aber an der jüngeren Chirurgengeneration, dieses Buch so zu lesen, dass so etwas nie wieder vorkommt.“
Publikation:
Rebecca Schwoch: „Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 1933-1945. Band II: Die Verfolgten“, hrsg. von Hartwig Bauer, Ernst Kraas und Hans-Ulrich Steinau im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Kaden Verlag Heidelberg 2017.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)