Die Gesundheitspolitik hat den Gesetzesausstoß deutlich erhöht, dazu kommen noch zwei wichtige standesärztliche Reformvorhaben. Viele Orthopäden und Unfallchirurgen mag das Gefühl beschleichen, statt freier Sicht immer tiefer in einen ‚Dschungel‘ zu geraten. Auf dem DKOU 2015 gab es zahlreiche Veranstaltungen, die auch gesundheitspolitisch Orientierung ‚hinterm Horizont‘ anboten.
Die große Klammer, nicht als solche explizit ausgesprochen, aber am Ende des DKOU 2015 in Berlin erkennbar: die sektorenübergreifende Versorgung ambulant und stationär.
Im sektorenübergreifenden Denken sind Ärzte weiter als die Politik – wie so oft. Lässt man das freie Sortieren in der Versorgungslandschaft zu, kommt es bereits jetzt zu stärkeren, auch räumlichen Bindungen zwischen Kliniken und Praxen. Doch erst jüngst wurde wieder über die politische Vorgabe der ‚Portalpraxen‘ Salz in die noch vorhandenen Wunden gestreut.
Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
Dass sich die Ärzte mit der Regulierung der Sektorengrenzen befassen sollten, liegt nicht nur am politischen Willen, sondern, so Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), auch im Interesse an einer stärkeren Flexibilisierung aus ärztlicher Sicht.
Die ASV erfordert – nicht im Sinne des Wettbewerbs, sondern der Kooperation – die gleichlangen Spieße, was nicht ganz einfach war und ist. Die Regelungen dazu werden im Gemeinsamen Bundesausschuss getroffen. Als Mitglied drängt die KBV auf eine klare Definition der Behandlungsumfänge und des Krankheitsmanagements. Zu Irritationen und Misstrauen führe die Herausnahme der ‚Schweren der Verlaufsformen‘; geblieben sind die ‚besonderen Krankheitsverläufe‘ und ‚seltenen Erkrankungen‘. „Die Streichung der ‚schweren Verlaufsformen‘ ist kein Freibrief, dass jetzt komplette Krankheitsbilder aus der Praxis in die ASV abwandern. Auch sind sie kein taugliches Instrument für den Ausschluss von Krankheitsbildern.“ Mit Richtlinien wird genau geregelt, welche Erkrankung unter die ASV fällt und wer sie behandelt. ‚Besondere Krankheitsverläufe‘ sind etwa Tumoren – die gastrointestinalen und die gynäkologischen haben diesen Prozess bereits durchlaufen – und ‚seltene Erkrankungen‘ z.B. die Tuberkulose.
Jetzt stehen die Regelungen zu rheumatologischen Erkrankungen an: „Meines Erachtens sind die rheumatologischen Erkrankungen eine Chance für die Orthopäden mit Schwerpunkt Rheumatologie, die ich mir auch im ASV-Kernteam wünsche, aber auch für die O und U insgesamt – hier werden wir noch verhandeln müssen, weil dies zuvor unter dem Aspekt der jetzt entfallenen schweren Verlaufsformen ganz auf die internistischen Rheumatologen zugeschnitten war“, führte Andreas Gassen aus.
Über die finanzielle Ausstattung wird im ergänzenden Bewertungsausschuss verhandelt – ein weiterer neben dem ‚erweiterten‘ – ergänzend, weil im Rahmen der ASV auch die Deutsche Krankenaus Gesellschaft eingebunden ist. Hier wird das EBM-Kapitel 50 weiterentwickelt, das die Regelungen zur ASV enthält. Das wesentliche Thema für die KBV ist die Honorierungssystematik. Da die ASV kooperativ Praxis-Klinik übergreifend angelegt ist und sich auf die gemeinsame Behandlung eines Falles bezieht, liefe es fast automatisch auf ein DRG-System hinaus. Damit fremdeln aber die niedergelassenen Vertragsärzte. Die Lösung: für den Niedergelassenen soll der Arztfall gelten, für das Krankenhaus der Fachgruppenfall; MVZs und Betriebsausübungsgemeinschaften (BAGs) könnten ebenfalls unter dem Fachgruppenfall zusammengefasst werden. Da die Krankenkassen eine Ausweitung der Menge fürchten, hat man sich auf Abschläge für den Fall geeinigt, dass eine Gebührenordnungsposition über das übliche hinaus mehrfach erbracht wird.
Versorgungsstrukturgesetz
Neben ein wenig Licht gibt es im Versorgungsstärkungsgesetz meist viel Schatten. Ein positives Zeichen wurde mit dem Innovationsfonds in Höhe von 300 Millionen Euro pro Jahr gesetzt, von dem u.a. ein Teil für die Versorgungsforschung reserviert ist. Auf der Habenseite ist auch die Vereinbarungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung zu verorten, die per Gesetz KBV und der Spitzenverband der Krankenkassen abschließen müssen: „Wir rechnen in Folge dieser Vereinbarungen mit dem Entfallen der Richtgrößenprüfungen“, so der KBV-Vorstandsvorsitzende weiter.
Völlig am Ziel vorbei gehe die Vorgabe, Praxen in vermeintlich überversorgten Gebieten aufzukaufen. Die Bedarfsplanung auf dem Papier stimme nicht mit der Versorgungswirklichkeit überein. So ist zum Beispiel der Trend zur ambulanten Versorgung darin gar nicht erfasst. Regelrecht kontraproduktiv – eigentlich auch aus Sicht der Kassen – wäre ein Rückschnitt ambulanter Versorgung in sogenannten überversorgten Gebieten, da dort nachweislich die Inanspruchnahme der Kliniken geringer ist.
Um die Sicherstellung ‚sicherzustellen‘, ist das Plädoyer der Politik für mehr MVZs aus Gassens Sicht keine wirkliche Alternative und vor allem keine wirtschaftliche Lösung. Die KBV habe überdies zahlreiche Fördermaßnahmen eingeführt, um Anreize zu setzen: Investitionshilfen, Umsatzgarantien, Eigeneinrichtungen u.a.: „Der Praxisaufkauf und die MVZ-Bildung bringen keine substantielle Verbesserung auf dem Land.“
Joachim Stier
Freier Journalist, Aachen – Berlin