Die Implantation eines künstlichen Kniegelenks bedeutete bisher für die Patienten auch den Verlust des vorderen Kreuzbandes. Am Universitätsklinikum Münster (UKM) kommt nun eine neue Prothese zum Einsatz, die den Erhalt möglich macht. Nach dem Eingriff bleibt das Gefühl, einen Fremdkörper in sich zu tragen, bei den Operierten aus, was zu schnellen Fortschritten in Hinblick auf die Mobilität führt. Dr. Ralf Dieckmann, Leiter des EndoProthetikZentrums der Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie am UKM, erklärt gegenüber BVOU.net, in welchen Fällen die Prothese implantiert werden kann und worauf der Chirurg beim Eingriff achten sollte.
BVOU.net: Herr Dr. Dieckmann, seit dem vergangenen Jahr wird am EndoProthetikZentrum in Münster eine neuartige Prothese eingesetzt, die den Erhalt intakter Kreuzbänder ermöglicht. Was genau ist das für eine Prothese?
Dr. Ralf Dieckmann: Bei dieser Art der Kniegelenksendoprothese kann durch eine spezielle Resektionstechnik die Kreuzbandinsel erhalten bleiben und somit auch ein Erhalt des vorderen und hinteren Kreuzbandes erreicht werden. Das Prothesensystem wird in den USA seit 2012 verwendet. In Deutschland ist es seit Ende 2014, Anfang 2015 verfügbar. Unserer Kenntnis nach wurde es weltweit mehrere tausend Mal verwendet. Derzeitig sind verschiedene internationale Zentren dabei, die ersten Studien zu publizieren.
Welche Vorteile ergeben sich für den Patienten durch den Erhalt der Kreuzbänder?
Dieckmann: Im Bereich der Kniegelenksendoprothetik gibt es im Vergleich zur Hüftgelenksendoprothetik einen höheren Anteil an nicht zufriedenen Patienten. Die Ursache dafür ist zum größten Teil unklar. Der Ansatz dieses Prothesensystems ist, dass die Propriozeptionsrezeptoren des vorderen Kreuzbandes erhalten werden und der Patient dadurch eine bessere Tiefensensibilität hat. Unser Ansatz ist, dass durch eine bessere Tiefensensibilität auch ein besseres funktionelles Ergebnis erzielt werden kann.
Für welche Patienten kommt die Operation in Frage?
Dieckmann: Nicht alle Patienten kommen dafür in Frage. Erste Voraussetzung ist natürlich, dass die Kreuzbänder und der Seitenbandapparat intakt sind. Wir verwenden dieses Prothesensystem bei moderaten Arthrosen ohne relevante Begleiterkrankungen, da wir oftmals bei stark ausgeprägten Arthrosen bereits eine Insuffizienz der Kreuzbänder sehen.
Ergeben sich bei dem Eingriff signifikante Besonderheiten für den Chirurgen?
Dieckmann: Die Implantation der kreuzbanderhaltenden Kniegelenksendoprothese ist im Vergleich zu einer herkömmlichen Kniegelenksendprothese operativ anspruchsvoller. Neben den herkömmlichen Herausforderungen bei der Implantation einer Kniegelenksendprothese muss der Erhalt der Kreuzbänder beachtet werden. Durch eine spezielle Resektionstechnik wird das Tibiaplateau reseziert und der Mittelsteg mit den Kreuzbändern bleibt erhalten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Resektionsebenen im Verhältnis zueinander nicht stark differieren, um unnötige mechanische Belastungen des Implantates zu vermeiden. Des Weiteren muss das Kniegelenk von der Bandspannung gut balanciert werden, um eine gute Funktion zu gewährleisten.
Was ist Ihr Resümee nach zehn Eingriffen dieser Art am EndoProthetikZentrum Münster? Würden Sie Kollegen an anderen Einrichtungen diese Methode uneingeschränkt weiterempfehlen?
Dieckmann: Bei der kreuzbanderhaltenden Kniegelenksendoprothese handelt es sich um einen anspruchsvollen Eingriff, der nur von erfahrenen Endoprothetikern durchgeführt werden sollte. Unsere ersten Ergebnisse sind erfolgsversprechend, Langzeitergebnisse sind jedoch abzuwarten.
Interview: Yvonne Bachmann
Bilder: Postoperative Röntgenbilder nach Implantation einer kreuzbanderhaltenden Knieendoprothese. (Quelle: UKM)