Leistenschmerzen bei jungen Erwachsenen – und insbesondere bei Sportlern – sind eine häufige Ursache für eine Vorstellung in der orthopädischen Praxis. Dabei gilt es für den behandelnden Arzt zwischen funktionellen Beschwerden, strukturellen Pathologien und ausstrahlenden Beschwerdebildern zu unterscheiden.
Um Leistenschmerzen systematisch aufzuarbeiten, kann eine 2015 publizierte Konsensusklassifikation (Doha Agreement) als Leitfaden zur Differenzierung der möglichen Schmerzorgane dienen:
- Spezifische Pathologien für Leistenschmerzen (Adduktoren, Iliopsoas, Leistenkanal, Schambein),
- Hüftgelenksbezogene Schmerzen, und
- andere Ursachen (z. B. ausstrahlende Schmerzen der LWS, etc.)
Eine frühzeitige korrekte Diagnose ist insbesondere auch deshalb bedeutend, damit langfristige Schäden vermieden werden können. Muskulär-tendinöse Beschwerden wie die Ansatztendinosen der Adduktoren sind häufig, können chronifizieren und sind dann langwieriger zu therapieren. Hüftgelenkbezogene Pathologien sind bei jungen Erwachsenen meist durch präarthrotische Deformitäten bedingt, welche unbehandelt zu Knorpelschäden und im späteren Verlauf zur Hüftarthrose führen können.
Die häufigsten Ursachen der präarthrotischen Deformitäten sind das femoroazetabuläre Impingement (FAI) sowie die Hüftdysplasie. Knöcherne Deformitäten im Sinne einer ImpingementMorphologie sind besonders häufig und treten bei etwa 20% der jungen Männer auf, wovon ein relevanter Anteil im Laufe des Lebens eine Coxarthrose entwickelt. Für den Erfolg gelenkerhaltender Operationen ist dabei eine rechtzeitige Therapie entscheidend. Gerade Patienten mit einem symptomatischen FAI werden auch heute noch in vielen Fällen erst einige Jahre nach Schmerzbeginn diagnostiziert, mit dann häufig bereits vorliegenden arthrotischen und irreversiblen Veränderungen.
Schmerzen meist erst bei Gelenkschäden!
Sowohl die knöchernen Deformitäten beim FAI als auch die Hüftdysplasie sind primär asymptomatische Erkrankungen des Hüftgelenkes. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Schmerzen in der Regel erst dann auftreten, wenn es bereits zu einer intraartikulären Schädigung gekommen ist. Eine entsprechende Schmerzsymptomatik stellt somit immer ein Warnsignal für bereits vorliegende Gelenkschäden dar! Gelenkbedingte Leistenschmerzen sollten bei jungen Erwachsenen somit immer ernst genommen und weiter abgeklärt werden.
Leitsymptom (schmerzhaft) eingeschränkte Innenrotationsfähigkeit in Beugung!
Gelenkbedingte Schmerzen äußern sich anamnestisch in der Regel durch belastungsabhängige Schmerzen, welche in die Leiste und in den Oberschenkel ausstrahlen und auch nach Belastung anhalten können. Auch Ruhe- und Nachtschmerzen sowie Anlaufschmerzen können auftreten. Gerade bei einer Hüftdysplasie kann zudem eine Überlastung der Abduktoren mit typischen belastungsabhängigen seitlichen Hüftschmerzen auftreten. Diese gelenkbedingten Beschwerden unterscheiden sich wesentlich von den typischen muskulär-tendinös-bedingten Beschwerden der Adduktor- und Iliopsoaspathologien beziehungsweise den in der Regel nur während der körperlichen Belastung auftretenden Schmerzen bei Pathologien des Leistenkanals (z. B. Sportlerleiste).
Bei der körperlichen Untersuchung können die möglichen Schmerzursachen durch Palpation weiter eingegrenzt werden. Leitsymptom für hüftgelenksbedingte Beschwerden ist jedoch die (schmerzhaft) eingeschränkte Innenrotationsfähigkeit des Hüftgelenkes in Beugung, beziehungsweise der Schmerz bei tiefer Flexions-/ Adduktions- und Innenrotationsbewegung (sog. FADIR-Test). Um ein standardisiertes Screening durchführen zu können, haben Leunig und Mitarbeiter einen speziellen Untersuchungsstuhl entwickelt. Die eingeschränkte Innenrotationsfähigkeit kann jedoch auch valide durch die standardisierte körperliche Untersuchung verifiziert werden.
Die Innenrotation kann durch verschiedene Pathologien am Hüftgelenk eingeschränkt sein. Zu den häufigsten Ursachen zählen neben der Koxarthrose vor allem Veränderungen beim FAI, wie eine Endrundung am Übergang vom Hüftkopf zum Schenkelhals (cam-Deformität), ein weit übergreifender knöcherner Pfannenrand (PincerDeformität) sowie eine Retroversion der Hüftpfanne mit dadurch bedingter Prominenz des vorderen Pfannenrandes (Abb. 2a–d). Ferner kann die Rotationsfähigkeit auch durch Torsionspathologien am Femur verändert sein, eine verminderte femorale Antetorsion führt beispielsweise zu einer verminderten Innenrotationsfähigkeit der Hüfte bei gleichzeitig vermehrter Außenrotationsfähigkeit. Hier spielt insbesondere auch die Rotationsmessung in Bauchlage eine wichtige Rolle, da damit vor allem die femorale Torsion abgeschätzt werden kann.
Schmerzhafte Rotationspathologien weiter abklären!
Neben der eingeschränkten Innenrotationsfähigkeit sollte bei der körperlichen Untersuchung insbesondere auf Rotationsasymmetrien ein Augenmerk gelegt werden. Differenzen in der Innen- zur Außenrotation von mehr als 20° sind ein wichtiger Hinweis auf mögliche Drehfehler der unteren Extremität. Auch eine übermäßige Innenrotationsfähigkeit beziehungsweise eine übermäßige globale Rotationsfähigkeit und Beweglichkeit kann einen Hinweis auf eine präarthrotische Deformität bei Hüftdysplasie oder globaler Laxizität mit Mikroinstabilität des Hüftgelenkes darstellen.
Kann der typische gelenkbedingte Flexions-/ Innenrotationsschmerz ausgelöst werden und liegt eine der oben genannten Veränderungen der Hüftgelenksbeweglichkeit vor, sollte frühzeitig eine weitere Röntgen Beckenübersicht sowie eine seitliche Aufnahme zum Ausschluss einer präarthrotischen Deformität durchgeführt werden. Intraartikuläre Pathologien können dann mittels hochauflösender Hüft-MRT und radiären bekonstruktionen um die Schenkelhalsachse sowie ggf. begleitender MR-Arthrographie weiter abgeklärt werden. Für die Bestimmung der femoralen und azetabulären Torsion wird zumeist ein TorsionsMRT mit Abbildung von Hüfte und Knie durchgeführt. Alternative Verfahren sind die CT sowie die ultraschallbasierte Torsionsmessung.
Fazit
Bei einem Patienten mit Leistenschmerzen sollte bei der körperlichen Untersuchung immer auch eine hüftgelenkbezogene Pathologie ausgeschlossen werden. Leitsymptome sind eine (schmerzhaft) eingeschränkte Innenrotationsfähigkeit, asymmetrische Rotationsfähigkeiten sowie eine übermäßige Beweglichkeit des Hüftgelenkes als Hinweis auf zugrunde liegende prädarthrotische Deformitäten oder Instabilitäten. Bei einer positiven Schmerzprovokation sowie einer pathologischen Beweglichkeit sollte frühzeitig die weitere Abklärung mittels entsprechender Bildgebung und ggf. Überweisung an einen Hüftspezialisten erfolgen.
Prof. Dr. Hans Gollwitzer
ECOM – Excellent Center of Medicine
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