Der Herausgeber sind allesamt erfahrene manualmedizinisch ausgerichtete Ärzte aus Pädiatrie, Orthopädie und Neurologie/Psychatrie. Schon das Geleitwort weist auf die lange deutsche manualmedizinische Tradition hin. Es gelte, propriozeptive muskuloskelettale Koordinationsstörungen aufzufinden. Dazu bedürfe es Techniken und Fertigkeiten sowie differenzialdiagnostischer Bewertung unter Einschluss entwicklungspädiatrischer, und kinderorthopädischer und neurologischer Aspekte. Darüber hinaus würden manualmedizinische Befunde die Einordnung sensomotorischer Entwicklungsverläufe erleichtern, ob Behandlung oder Prophylaxe erforderlich werden.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte. Die Differenzierung zwischen struktureller oder funktioneller Ursache mit der Folge einer Funktionsstörung oder sogar Funktionskrankheit wird auf sehr kurzen fünf Seiten abgehandelt. Die Bestimmung der Hauptstörung und die Suche nach neuroreflektorischen Verkettungen stehen ganz im Vordergrund. ManualtherapeutInnen achten dabei auf so genannte reflektorisch-algetische Zeichen und auf manualtherapeutisch interpretierte red flags, wie sie aus der Schmerztherapie von Wirbelsäulenerkrankungen bekannt sind. Bildlich unterstützt wird der Text durch eine einzige Abbildung, die den so genannten „General-listening-Test“ zeigt, bei denen der Untersuchung durch Handauflegen auf den Kopf des stehenden Kindes versucht, Informationen über erhöhte Körperspannung zu gewinnen.
Das folgende große Kapitel spricht vielfache manualmedizinische Auffälligkeiten und Störungen im Säuglingsalter an, darunter schwach ausgeprägte oder gar fehlende motorische Entwicklungsschritte, Schiefhaltungen jeglicher Art, die mitunter vorschnell und ungenau als sog. kopfgelenkinduzierte Symmetriestörungen (KISS) bezeichnet werden. Auch zum so genannten „Schreikind“ erfolgen differenzialdiagnostische und therapeutische Überlegungen. Dir heutzutage häufig in unseren Praxen vorgezeigten meist lagerungsbedingten Schädeldeformitäten fordern uns insbesondere in unserer Beratungstätigkeit und somit kommunikativ stark heraus. Sich verselbstständigende Behandlungsempfehlungen sind häufig. Vielleicht wäre als Ergänzung der Ausführungen im Buch eine wissenschaftlich abgesicherte Darstellung der Spontanentwicklung auffälliger Schädelformen möglich.
Das abschließende ebenfalls große Kapitel befasst sich mit manualmedizinischen Auffälligkeiten und Störungen im Kindesalter. Hier werden häufige kinderorthopädische Erkrankungen auf Ihre manualmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten untersucht. Dazu gehören als interdisziplinäre Erscheinungsformen insbesondere kindliche Kopf- und Rückenschmerzen. Die hierzu existierenden Leitlinien sind als Konsensusgrundlage in eine zukünftige Ausgabe dieses Buches unbedingt zu integrieren, weil Sie auf breitem Fundament erarbeitet wurden und eben Leitlinien für die Einordnung und differenzierte Behandlung darstellen. Ergänzenswert ist ebenfalls, dass chronische Schmerzerkrankungen im Kindesalter nach Ausschöpfen vielfältiger ambulanter, auch manualmedizinischer Möglichkeiten, ggf. eine stationäre Behandlung erfordern können.
Nur einige wenige Diagnosen wurden durch Abbildungen der üblichen klinischen Untersuchung illustriert. Das gilt insbesondere für die Wirbelsäule und Beinlängenunterschiede. Aber auch manualtherapeutische Behandlungstechniken sollten mit deutlich mehr Abbildungen verdeutlicht werden. Dem Stichwortverzeichnis fehlen häufig gesuchte Begriffe wie „Blockierung“, Lagereflexe, Vojta und Bobath.
Wesentliche Stärke des vorliegenden Werkes ist zunächst einmal die grundlegende Betrachtungsweise, die der rein hochschulmedizinisch geprägten Herangehensweise einen eher phänomenologisch wirkenden Zugang entgegenhält. Dankenswerterweise enthalten sich die Herausgeber in diesem Zusammenhang des oft missbrauchten Begriffs „ganzheitlich“ in diesem Buch. Ein großes Lob muss den Herausgebern ausgesprochen werden für die vielgestaltige Anamneseerhebung sowie, Anhand von Fallbeispielen, die manualmedizinische Befundung, die darauf basierende Darstellung möglicher Ursachen und die Formulierung des weiteren Prozederes.
Zusammenfassend ist das vorliegende Buch allen Berufsgruppen zu empfehlen, die sich insbesondere bei unklaren und länger als erwartet andauernden Auffälligkeiten und Störungen bei Säuglingen und Kindern ergänzende, aber auch therapeutische Hinweise wünschen.
Dr. Hartmut Gaulrapp