Berlin – Die Strukturen der medizinischen Notfallversorgung in Deutschland müssen stärker miteinander vernetzt und dem Patientenverhalten angepasst werden. Das fordert der Marburger Bund (MB). Zentrale Anlaufstellen und ein koordiniertes Vorgehen der Beteiligten könnten die Notaufnahmen entlasten. Hierzu bedürfe es einheitlicher Standards für die Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit in allen Anlaufstellen der Notfallversorgung, ob Klinikambulanzen oder Notfallpraxen.
Außerdem sollte es eine einheitliche Telefonnummer für sämtliche Patienten geben, die sich als Notfall in Behandlung begeben wollen. Es sei sinnvoll, die Nummern 112 und 116 117 zu verknüpfen, schlug Dr. Susanne Johna vor, Bundesvorstandsmitglied des MB. Eine neue einheitliche Nummer müsse rund um die Uhr erreichbar sein.
25 Millionen Notfälle sind zu versorgen
Etwa 72 Prozent der Kliniken nehmen derzeit an der Notfallversorgung teil. Die Notaufnahmen werden jährlich von bis zu 25 Millionen Menschen aufgesucht. Rund elf Millionen Fälle werden davon ambulant behandelt. Schuldzuweisungen an angeblich zu großzügige Klinikambulanzen beziehungsweise an einen ungenügenden ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie die Suche nach sachgerechten Steuerungsmechanismen und Finanzierungen sind seit Monaten Gegenstand von Debatten.
„Notdienstpraxis und Notaufnahme dürfen nicht einfach nur nebeneinander am gleichen Ort existieren, sondern müssen personell und digital miteinander verknüpft werden, um eine patientengerechte Versorgung zu erreichen“, so ein weiterer Vorschlag des MB. Auch müsse man festlegen, dass an Krankenhäusern ab einem bestimmten Umfang, zum Beispiel bei 20.000 Notfällen pro Jahr, eine Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung angesiedelt werde.
Jede Seite hat Sorgen, noch größere ökonomische Nachteile hinnehmen zu müssen
Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des MB, vertrat die Auffassung, dass vor allem die Sorge um ökonomische Nachteile im jeweils eigenen Sektor gemeinsame Lösungen verhindere. Die Krankenhäuser hätten kürzlich vorgerechnet, dass sie durch die Notfallversorgung ein Defizit von rund einer Milliarde Euro jährlich machten. Im ambulanten Bereich weise man darauf hin, je stärker die medizinischen Möglichkeiten rund um die Uhr verfügbar seien, desto aufwendiger werde es. Und die Lust, angesichts begrenzter ambulanter Budgets weitere Fälle in der eigenen Zuständigkeit zu behandeln, sei möglicherweise auch etwas begrenzt.
Als Lösung ist für Henke ein eigener Sektor der integrierten Notfallversorgung mit eigener Vergütung denkbar. Aber für diesen benötige man zusätzliche Mittel, weil sonst die Abwehrmechanismen zu stark seien. Unterhalb von 500 Millionen Euro brauche man aber die Diskussion über solch ein neues Feld gar nicht erst zu beginnen.