Berlin/Karlsruhe – Ende 2018 – vor gut einem Jahr – trat die revidierte Strahlenschutzordnung in Kraft. Für viele Bereiche in Medizin und Forschung ergaben sich daraus zusätzliche Änderungen aber auch Möglichkeiten. Was ist für das Fachgebiet O und U neu? Was ist für Kliniker und Niedergelassene interessant? Wir haben uns bei Medizinphysikexperte Dipl. Ing. Peter Starck vom Städtischen Klinikum Karlsruhe gGmbH Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, erkundigt.
Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) und Strahlenschutzverordnung (StrlSchV): Könnten Sie einmal erklären, was es damit auf sich hat? Wo ist der Unterschied? Was ist neu?
Peter Starck: Das Strahlenschutzgesetz von 2017 trifft Regelungen zum Schutz des Menschen vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung und bildet die Grundlage. Die Strahlenschutzverordnung ist als Ergänzung hiervon zu sehen. Sie erfuhr Ende 2018 eine Neuerung. Wenn man aus seinem Tätigkeitsbereich etwas wissen möchte, muss man sowohl das Strahlenschutzgesetz als auch die Strahlenschutzverordnung zu Rate ziehen. Das ist anders als früher, denn die alte Röntgen- und Strahlenschutzverordnung hat die Strahlentherapie und Nuklearmedizin damals noch getrennt. Neuerdings ist hier aber alles eingeflossen und befindet sich jetzt unter einem Dach.
Demnach hat man versucht, alle Berufsgruppen zusammen zu bringen?Starck: Genau, ein Gesetz, beziehungsweise eine Verordnung, wo sich alle wiederfinden, auch die Menschen, die im Atomkraftwerk arbeiten, nur als Beispiel.
Das kann auch zu Verwirrung führen bei den einzelnen Regelungen und Bestimmungen, oder?
Starck: Ja. Man muss sich bzw. seine Berufsgruppe an der richtigen Stelle wiederfinden. Das war früher bei der Röntgenverordnung expliziter. Nun muss man doch in den einzelnen Kapiteln suchen und gucken, was zu beachten ist, wenn ich ein Röntgengerät beispielsweise als Strahlenschutzverantwortlicher betreibe.
Sie haben den Strahlenschutzverantwortlichen genannt. Wie steht er in Relation zum Strahlenschutzbeauftragten? Welche Neuigkeiten gibt es bezüglich dieser beiden Tätigkeiten?
Starck: Normalerweise übernimmt der Geschäftsführer, Praxisinhaber oder Klinikdirektor vom Gesamtkrankenhaus die Rolle als Strahlenschutzverantwortlicher, da er die Röntgeneinrichtung betreibt. Er braucht zwar selbst keine Fachkunde im Strahlenschutz, hat aber die rechtliche Verantwortung. Zudem sorgt er für die Einhaltung der Vorschriften, stellt geeignete Räume, Ausrüstung und Geräte bereit und regelt das Vorgehen im Notfall. Der Strahlenschutzverantwortliche delegiert die Aufgaben und holt sich die Unterstützung eines Strahlenschutzbeauftragten ein. Dieser hingegen benötigt die spezielle Fachkunde im Strahlenschutz. Er überwacht und führt Tätigkeiten und Maßnahmen des betrieblichen Strahlenschutzes durch. Der Strahlenschutzbeauftragte ist weisungsbefugt, d. h., seinen Anweisungen müssen alle Beschäftigten folgen. Um es kurz zu machen: Jeder, der ein Röntgengerät betreibt, muss auch einen Strahlenschutzbeauftragten nennen. Von der Hierarchie steht der Strahlenschutzverantwortliche über dem Strahlenschutzbeauftragten. Was neu ist: Die Befugnisse und Pflichten des Strahlenschutzbeauftragten wurden gestärkt. Er genießt einen Kündigungsschutz von einem Jahr und kann sich direkt an die Behörde wenden wenn es der Strahlschutzverantwortliche nicht tut.
Welche Veränderungen und Auswirkungen hat das neue Strahlenschutzgesetz konkret mit sich gebracht, die für O und U interessant sein könnten?
Starck: Nehmen wir Röntgengeräte als Beispiel: Diese werden teilweise in Gemeinschaft genutzt, wie das beim Belegarzt der Fall ist. Dieser führt eigenständig Untersuchungen durch und muss das Gerät, das er bedient, entsprechend bei der Behörde melden (Anzeigeverfahren) und muss ebenfalls eine Art Abgrenzungsvertrag zwischen ihm und den Strahlenschutzverantwortlichen (SSV) machen. Konkret für das Fachgebiet O und U heißt das: Ein niedergelassener Orthopäde, der mit einer Klinik einen Kooperationsvertrag hat und im Krankenhaus Prothese einsetzt. Die Anzeige bei der Behörde als auch der Abgrenzungsvertrag zwischen den Strahlenschutzverantwortlichen muss bis zum 31.12.2019 erfolgen.
Was muss ich beachten, wenn ich eine eigene Praxis besitze und ein Röntgengerät, beziehungsweise einen Bildwandler oder einen DXA-Messer betreibe: Wird vom Gerätetyp her unterschieden?
Starck: Nein, das ist vom Gerätetyp unabhängig. Wenn das DXA-Gerät zeitweise eigenständig genutzt wird und Patienten untersucht werden, muss der Betreiber das ebenso bei der Behörde entsprechend anmelden, wie beispielsweise bei einen C-Bogen. Ausnahme: Es liegt ein Vertrag zu einer bestimmten Vertreterregelung vor.
Intervention, C-Bögen, DVT, DXA: Welche Neuerungen gibt es noch hinsichtlich des Gerätetyps?
Starck: Neu ist ein Aufsichtsprogramm durch die Behörde: Das Aufsichtsprogramm umfasst ein risikoorientiertes Aufsichtskonzept mit Vor-Ort-Begehungen. Das ist von Bundesland zu Bundesland anders, dürfte aber nicht groß voneinander abweichen. Unterschieden wird zwischen Hochdosisgeräten wie z.B. Computertomografie oder Durchleuchtung mit langen Interventionen, also wo viel Strahlung am Patienten angewendet wird, wo relativ lange Beleuchtungszeiten stattfinden oder wo das Personal drumherum einer Strahlenbelastung ausgesetzt sein kann. Für orthopädisches Röntgen, wie beispielsweise DXA-Messungen, ist das eher anlassbezogen und nicht auf ein bestimmtes Intervall definiert. Bei den C-Bögen im Vergleich, also mobile Durchleuchtungsgeräte im OP, sieht das anders aus: Hier ist ein Aufsichtsintervall von vier Jahren vorgeschlagen.
Wen muss ich aufsuchen, um das Aufsichtsprogramm in meinem Bundesland zu erfahren?
Starck: Hier ist der Ansprechpartner die Behörde, bei der ich das Röntgengerät auch melden muss. Bei uns in Baden-Württemberg gibt es beispielsweise Regierungspräsidien, die ein Referat Strahlenschutz haben, die dafür zuständig sind.
Welche Neuerungen gibt es bezüglich Diagnostischer Referenzwerte (DRW)?
Starck: Nach §85 des Strahlenschutzgesetzes sind sämtliche Überschreitungen eines DRWs zu begründen. Das betrifft das konventionelle Röntgen, also z.B. Skelettröntgen. Die Referenzwerte als Anhaltspunkt: Wie gut liegen die Dosiswerte in meiner Einrichtung zu den besagten Referenzwerten. Neu ist: Liege ich mit meinen Werten über den Referenzwerten, muss ich das laut Gesetzestext begründen. Interessant hierbei ist: Der Referenzwert ist jedoch lediglich als Durchschnittswert zu verstehen.
Warum muss ich, wenn ich den Wert im Individualfall toppe, diesen auch begründen?
Starck: Gute Frage. Da der DRW nicht für einzelne Untersuchungen definiert ist, sondern über eine größere Gesamtheit, ist aus unserer Sicht nicht jede einzelne, sondern die dauerhafte Überschreitung des DRWs zu dokumentieren. Dies wird übrigens inzwischen auch vom BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit) und den ärztlichen Stellen so gesehen. Bis jetzt liegt aber hierfür noch keine rechtsverbindliche Klarstellung des BMU vor.
Können Sie ein Beispiel aus O und U hierfür nennen?
Starck: Wenn der Orthopäde beispielsweise eine Beckenaufnahme macht und er liegt über dem Referenzwert, dann muss er dies für diesen Patienten begründen. Das kann der Fall sein, wenn dieser z.B. übergewichtig ist. Da wir besonders im Beckenbereich sehr unterschiedlich gebaut sind, liegen viele Menschen dann über dem Referenzwert. Ratsam ist es, sich die letzten 20 Untersuchungen anzugucken, um herauszufinden, ob nicht ein strukturelles Problem dahintersteckt.
Welche Verhaltensempfehlungen oder Arbeitsanweisungen geben Sie bezüglich der Vorlage über ein Verfahren zur systematischen Erkennung und Bearbeitung von Vorkommnissen bei Anwendung ionisierender Strahlung? Was ist ein bedeutsames Vorkommnis?
Starck: Unter dem Paragraphen §105 der Strahlenschutzverordnung hat der Strahlenschutzverantwortliche dafür zu sorgen, dass Vorkommnisse frühzeitig erkannt und vermieden werden. In einfachen Worten: Es sollte ein aktives Qualitäts- und Risikomanagement betrieben werden. Ein Vorkommnis ist ein Ereignis in einer geplanten Expositionssituation, das zu einer unbeabsichtigten Exposition geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte. Kein Vorkommnis liegt vor, wenn das Ereignis für den Strahlenschutz nicht relevant ist. Generell gilt: Mitarbeiter sollten Probleme dokumentieren. Bedeutsame Vorkommnisse sind meldepflichtig. Zum Beispiel: wenn eine bestimmte Dosis überschritten wird, wenn der falsche Patienten geröntgt, eine Begleitperson zu stark bestrahlt wurde usw.
Was ist bezüglich der Überwachung der Expositionen zu beachten? Welche Rolle spielt ein Dosismanagementsystem und wer muss so etwas in der Praxis vorweisen können?
Starck: Dosismanagementsysteme sind Softwares, die die applizierte Strahlendosis von der Röntgeneinrichtung oder vom Bildarchiv übermittelt bekommen. Sie agieren als Monitoringsystem: Wo liegt mein Mittelwert für eine Bein-, Lungenaufnahme, wo für das Kniegelenk? Wird der Wert in Bezug zum Diagnostischen Referenzwert überschritten? Habe ich Ausreißer? Auch Meldeschwellen lassen sich definieren. Das Dosismanagementsystem wird empfohlen, ist aber gesetzlich nicht verpflichtend vorgeschrieben. Gefordert wird aber, dass man sich eine Struktur mit einer Übersicht über die applizierten Dosiswerte schafft. Der Niedergelassene kann seine Werte aber durchaus auch per Hand durch die Röntgenassistenten dokumentieren lassen. Mittels Tabellenkalkulationssoftware kann man sich auch gut weiterhelfen. Sinn und Zweck ist einfach, dass der Gerätebetreiber sich kritisch mit seinen Dosiswerten auseinandersetzt, diese auch mit den Referenzwerten vergleichen kann.
Thema Medizinphysikexperte (MPE): Wann muss ein Medizinphysikexperte hinzugezogen werden und inwieweit hat sich das durch die Neuerungen geändert?
Starck: Der Medizinphysikexperte wird für dosisintensive Verfahren gefordert, beispielsweise für CT und Interventionensgeräte wie z.B. Angiographie-, Herzkatheteranlagen oder C-Bögen mit DSA-Modus (Digitale Subtraktionsangiographie). Bei der Geräteneuanschaffungen wird sofort ein Medizinphysikexperte gefordert. Für die Bestandsgeräte muss spätestens ab 2023 ein Medizinphysikexperte nachgemeldet werden. Grauzone sind die C-Bögen welche technisch hohe Untersuchungsdosen leisten können wie z.B. C-Bogen mit 3D-Aufnahmetechniken (Cone-Beam-Verfahren). Das betrifft in der Regel nicht die O und U. Aber: Fachärzte profitieren insofern, dass es nun Experten gibt, die man zu Rate ziehen kann. Also die Radiologie mit CT um die Ecke und so weiter, müssen ebenfalls einen Medizinphysikexperten haben.
Und hinsichtlich der Patienten? Wie werden die aufgeklärt?
Starck: In Praxis und Klinik muss man seiner Informationspflicht nachkommen. Das kann in Form von Broschüre und Postern geschehen. Das Bundesamt für Strahlenschutz bietet z.B. kostenlos eine redaktionell gut geschriebene Broschüre an. Übrigens: Seit 01.01.2019 ist die Ausgabe und das Führen eines Röntgenpasses keine gesetzliche Pflicht mehr.
Herr Starck, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janosch Kuno, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit BVOU.