Berlin – Jedes Jahr werden Millionen Deutsche wegen einer orthopädischen Erkrankung operiert. Besonders in den Medien wurde in den letzten Jahren wiederholt der Ruf laut, es werde häufig zu schnell zum Skalpell gegriffen. Dem widerspricht Prof. Christian Knop, Präsident der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft. Bei einer Pressekonferenz des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie, der heute in Berlin beginnt, sprach er über die statistischen Daten, die zu dieser Auffassung geführt haben und darüber, wann Operationen sinnvoll oder sogar dringend notwendig sind.
Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2013 ist Deutschland mit 15 Millionen Wirbelsäulenoperationen pro Jahr Spitzenreiter auf diesem Gebiet. Seitdem stehen orthopädische Eingriffe immer wieder in der Kritik. „Die Autoren haben aber nicht die tatsächlichen Operationen gezählt, sondern die Anzahl der Prozeduren-Schlüssel (OPS-Codes), die im deutschen Gesundheitssystem die Grundlage für die Leistungsabrechnung bilden,“ kritisierte Knop, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Stuttgart. Mit diesen Codes würden aber auch die Einzelschritte einer Operation abgebildet. „Das ist, als würde man im Fußball nicht die geschossenen Tore zählen, sondern die Anzahl der Ballkontakte, die zum Tor geführt haben.“
Demographischer Wandel trägt zur Zunahme der Eingriffe bei
Zudem berücksichtige die Publikation nicht den Altersdurchschnitt in den jeweiligen Ländern: In Deutschland leben vergleichsweise mehr ältere Menschen. Dies führe zwangsläufig zu mehr Operationen, da viele orthopädische Erkrankungen verschleißbedingt seien. Berücksichtigt man das nationale Durchschnittsalter, liege Deutschland mit der Anzahl der Operationen nur im Mittelfeld.
Auch der „Faktencheck Rücken“ der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Rückenschmerzbedingte Krankenhausaufenthalte und operative Eingriffe“ sprach zuletzt von einer sehr hohen Anzahl von Wirbelsäulenoperationen in bestimmten Regionen Deutschlands. Die Publikation berücksichtigte dabei aber ebenso wenig, dass die Zahl der OP-Schlüssel nicht mit der Zahl der Operationen gleichgesetzt werden kann, wie der BVOU und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisierten.
Gegen Schmerzen: Kunstgelenk versus Schmerzmittel
Ähnlich wie bei den Rückenoperationen sei die Zahl der Eingriffe auch bei den Kunstgelenken in den letzten zwölf Jahren etwa konstant geblieben. „Wenn Medikamente, Bewegung und Physiotherapie nicht mehr helfen, ist eine Endoprothese für Senioren oft die letzte Möglichkeit, ihren Lebensabend schmerzfrei und beweglich zu genießen“, sagte Prof. Andrea Meurer, Kongresspräsidentin des DKOU 2017 für die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). In den Vereinigten Staaten werde zwar weniger operiert, dafür aber mehr Schmerzmittel verschrieben. Dadurch seien viele Patienten von Opiaten abhängig.
„Aufgrund der Kritik an den Operationszahlen entscheiden sich mittlerweile auch hierzulande manche Patienten gegen eine Operation, sogar dann, wenn diese aus medizinischer Sicht notwendig wäre“, ergänzt Knop und warnt vor falschen Schlüssen.
Wann operieren?
Bei Traumata, Tumoren, Infektionen oder krankhaften Verformungen der Wirbelsäule sei eine Operation häufig notwendig und könne lebensverlängernd sein, so die Experten. Wenn deutliche Lähmungen und Taubheitsgefühl auftreten oder Blase und Darm den Dienst versagen, sollte das Skalpell zum Einsatz kommen. Starke Schmerzen, die den Betroffenen im Alltag einschränken, können ebenfalls Anlass für eine Operation sein – vorausgesetzt, dass die nicht-chirurgischen Maßnahmen ausgeschöpft sind und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten den Eingriff zulässt. „Hat der Patient Zweifel, ob eine OP das richtige für ihn ist, sollte er sich bei einem anderen Orthopäden oder Unfallchirurgen eine zweite Meinung holen“, so Meurer.
Quelle: DKOU-Pressemitteilung