Berlin – Wie können niedergelassene Orthopäden für entzündlich-rheumatische Erkrankungen sensibilisiert und für eine komplexe Therapie motiviert werden? Dr. Uwe Schwokowski, BVOU-Referatsleiter, geht auf die Situation der Orthopädischen Rheumatologie im Rahmen der Versorgungsrealität in Deutschland ein und erörtert, was sich an der derzeitigen Situation ändern muss.
Herr Dr. Schwokowski, seit vielen Jahren gibt es ein Versorgungsdefizit in der Rheumatologie in Deutschland. Rund 1,5 Millionen Menschen leiden unter entzündlichrheumatischen Erkrankungen und erhalten häufig keine adäquate Behandlung. Was ist die Ursache?
Dr. Uwe Schwokowski: Das Hauptproblem an der derzeitigen Situation lässt sich an dem folgenden Punkt ausmachen: Es gibt in Deutschland zu wenig rheumatologische Spezialisten. Aktuell sind ungefähr 750 internistische und 500 zugelassene Orthopädische Rheumatologen in der Niederlassung tätig. In einem Memorandum zur Versorgung von Rheumapatienten in Deutschland von 2016 werden 1350 internistische Rheumatologen zur ausreichenden Versorgung in Deutschland gefordert. Leider werden in diesem Memorandum als Kooperationspartner der internistischen Rheumatologen lediglich die Hausärzte genannt. Die Orthopädinnen und Orthopäden, die auf Grund ihrer Weiterbildung am ehesten in der Lage sind, in der Früherkennung und primärdiagnostik die Versorgungslage zu verbessern, werden also nicht mit einbezogen.
Welchen Grund hat das?
Dr. Schwokowski: Das ist auch mir nicht ersichtlich, ich sehe hier jedoch vordergründig berufspolitische Interessen.
Können Sie das näher erläutern?
Dr. Schwokowski: Die Orthopäden und Unfallchirurgen sind Primäransprechpartner bei schmerzhaften Gelenk- und Rückenerkrankungen. Sie sind in der Lage, zwischen einem entzündlichen oder nicht entzündlichen Krankheitsbild zu differenzieren. Außerdem sind sie in der Lage, neben der Diagnosestellung auch eine medikamentöse Frühtherapie einzuleiten. Ich sehe den Orthopäden nicht als Konkurrenten der internistischen Rheumatologen, sondern vielmehr als Partner. Er kann als sogenannter Gatekeeper fungieren und dem Internisten zeitintensive Vorarbeit abnehmen.
Halten wir uns einmal vor Augen: Der Anspruch der internistischen Rheumatologen – laut dem Memorandum 2016 – einen Patienten innerhalb von zwei Wochen in einer Frühsichtungssprechstunde zu übernehmen, ist bei der derzeitigen Versorgungslage Augenblicklich definitiv utopisch. Professor Matthias Schneider aus Düsseldorf hat in einer Pressekonferenz zum Rheumatologen-Kongress 2018 in Mannheim über eine Terminwartezeit von drei bis sechs Monaten berichtet. Da eine Diagnosestellung und ein anschließender Therapiebeginn drei Monate nach dem ersten Symptom einer rheumatischen Erkrankung von hoher Wichtigkeit ist, ist die augenblickliche Situation mit den vorhandenen Wartezeiten nicht tragbar. Deswegen: Orthopäden müssen mehr miteinbezogen werden.
Welche Lösungsvorschläge haben Sie aus Sicht des BVOU-Referatleiters? Was fordern Sie konkret?
Dr. Schwokowski: Aus meiner Sicht, und das sind die Erfahrungen aus vielen Kursen zur Ausbildung zum rheumatologisch fortgebildeten Orthopäden (RhefO), haben viele Kollegen einfach Ängste vor Arzneimittel- und Laborregressen. Als Lösungsansatz muss hier gefordert werden, dass in allen Bundesländern diagnosebezogene Arzneimittel- und Laborbudgets eingesetzt werden.
Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass die Behandlung und die Anamneseerhebung und auch die Behandlung eines Rheumapatienten sehr viel mehr Zeit kostet, dies aber in keiner Weise finanziell für den Orthopäden abgebildet wird. Die Ziffer 18320, die man in so einem Fall anwenden könnte, steht dann in Konkurrenz zur Ziffer 18220 bei Erstkontakt, beziehungsweise in Konkurrenz zur Ziffer 18311 bei Drittkontakt pro Quartal. Unsere Forderung hier: Diese speziellen Rheumatologie-Leistungen des Orthopäden müssten auch entsprechend honoriert werden. Und: Die Ziffer 18320 darf nicht in Konkurrenz zu anderen Ziffern stehen.
Warum ist es so bedeutsam, dass eine entzündlich-rheumatologische Erkrankung im Frühstadium bereits diagnostiziert wird?
Inwieweit hat sich die Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in den letzten 20 Jahren verändert?
Dr. Schwokowski: In den letzten 20 Jahren hat sich die Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen nicht nur geändert, sondern gar revolutioniert, insbesondere durch den Einsatz von Biologika. Professor Klaus Krüger aus München beschrieb das als „turbulente Zeiten in der Rheumatologie“. Heutzutage gelingt es, entzündlich-rheumatische Erkrankungen zwar nicht zu heilen, aber weitestgehend zu stoppen. Wir sprechen hier von einer Remission, also von einem Stillstand des rheumatischen Geschehens. Das ist keine Utopie mehr, sondern wird aktuell schon bei mehr als der Hälfte der Patienten erreicht. Wichtig aber ist: Je früher die entsprechende Therapie eingeleitet wird, um so weniger Schäden sind bei dem Patienten zu erwarten und die Veränderungen, die wir von früher mit Gelenkzerstörungen oder völliger Gelenkversteifung der Wirbelsäule bei Morbus Bechterew kennen, treten unter einer frühzeitigen Therapie heute einfach nicht mehr auf.
Welche Fachrichtungen sollten zur Optimierung der Behandlung von Rheumapatienten aus Ihrer Sicht kooperieren?
Dr. Schwokowski: Da entzündlich-rheumatische Erkrankungen Systemerkrankungen sind und nicht nur allein das Gelenk befallen, sondern eben auch andere Strukturen, ist eine Kooperation essentiell. Neben den internistischen und Orthopädischen Rheumatologen spielt der Hausarzt und der Orthopäde in der Früherkennung eine bedeutende Rolle, in der erweiterten Diagnostik dann natürlich auch der RhefO. Andere Fachgruppen wie der Dermatologe, der Gastroenterologe, der Augenarzt sind bei zusätzlichem Befall der Haut, des Darms oder des Auges hinzuzuziehen. Die Interaktion einzelner Fachgruppen ist unabdingbar, denn die Erfahrung vieler internistischer Rheumatologen ist, dass bei einer Überweisung vom Hausarzt mit einer Verdachtsdiagnose Rheuma, von zehn Patienten tatsächlich zwei eine entzündliche rheumatische Erkrankung haben. Hier würde ein Versorgungspfad vom Hausarzt zunächst zum Orthopäden bzw. RhefO Abhilfe schaffen. In der speziellen Rheumatherapie mit innovativen Medikamenten ist eine enge Kooperation zwischen Orthopäden, Orthopädischen Rheumatologen und internistischen Rheumatologen anzustreben.
Was kann der Rheumapatient selbst zur Verbesserung des Krankheitsverlaufes beitragen?
Dr. Schwokowski: Hier sollte auf jeden Fall das Schlagwort „gesunde Lebensweise“ fallen: Eine gesunde Ernährung und viel Bewegung spielen eine bedeutsame Rolle. Außerdem ist „positives Denken“ gerade unter den heutigen therapeutischen Optionen aus meiner Sicht von großer Bedeutung. Wichtig ist, dass der Patient aufgrund der Erkrankung nicht in eine Depression verfällt. Deswegen strebe ich stets meine Leitworte an: „Zuversicht bei Arzt und Patient“.
Wie können niedergelassene Orthopäden vermehrt für entzündlich-rheumatische Erkrankungen sensibilisiert und für eine komplexe Therapie motiviert werden?
Dr. Schwokowski: Die von mir erläuterten Probleme können schnell zu einer moralischen Demotivation führen. Vielmehr jedoch sollte man sich einmal die positiven Aspekte vor Augen halten: Allen voran sind das aus meiner Sicht zufriedene Patienten und Behandlungserfolge, die ich durch innovative Therapien erzielen kann. Das Image der Praxis wird durch die Rheuma-Spezialisierung aufgewertet und das Selbstwertgefühl steigt.
Welches Beispiel fällt Ihnen an dieser Stelle aus Ihrem Berufsalltag ein?
Dr. Schwokowski:Der typische Morbus Bechterew-Patient zum Beispiel ist zwischen zwei und fünf Uhr morgens wegen starker Rückenschmerzen schlaflos. Er muss sich bewegen und wandert nachts durch seine Wohnung. Nach erfolgreicher Behandlung bei mir in der Praxis und Verabreichung eines Biologikums, kommt der Patient nach wenigen Wochen wieder zu mir und schwärmt: „Herr Doktor, das ist der absolute Wahnsinn. Ich habe das erste Mal seit 20 Jahren wieder durchgeschlafen, so wie Sie mir das versprochen haben.“ Wenn ich mich an diese Erlebnisse erinnere, bekomme ich selbst jetzt noch Gänsehaut, denn: Ich habe zufriedene und glückliche Patienten. Genau für solche Erlebnisse arbeite ich. Und die tägliche Arbeit hat mir deswegen immer große Freude bereitet. Diese positiven Erlebnisse übertragen sich im Übrigen auch auf das gesamte Praxisteam, und das bedeutet: Rheumatologie beeinflusst das eigene Image und das der Praxis sehr positiv.
Herr Dr. Schwokowski, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janosch Kuno, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit BVOU