In einem der ersten zertifizierten Zentren für Alterstraumatologie (ATZ) in Deutschland engagieren sich Internisten und Geriater am Marienhospital in Stuttgart unter der Leitung des Orthopäden und Unfallchirurgen sowie Osteologen Prof. Dr. Ulrich Liener beharrlich und kreativ für die Versorgung von Menschen mit Osteoporose. Mit ihm und seinem Team haben wir über aktuelle Entwicklungen und Perspektiven am ATZ gesprochen.
Prof. Liener, als einer der Wegbereiter der Zentren für Alterstraumatologie (ATZ) in Deutschland engagieren Sie sich für eine interdisziplinäre osteologische Versorgung
von geriatrischen Frakturpatienten. Wie haben Sie diese Strategie
bislang im eigenen Haus umgesetzt?
Prof. Dr. Ulrich Liener: Für die Behandlung von betagten Frakturpatienten ist eine enge Zusammenarbeit aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen unerlässlich. Nur durch eine koordinierte interprofessionelle Behandlung durch Ärzte, Pflegekräfte, Sozialdienst und Physiotherapeuten und ggf. Neuropsychologen kann effizient auf die komplexen medizinischen Bedürfnisse älterer Menschen eingegangen werden. Ziel ist die Rückkehr in das alte vertraute soziale Umfeld. Im Zentrum der ärztlichen Behandlung stehen Unfallchirurg und Geriater. Gemeinsam verantwortlich steuert dieses Team die Behandlung. Als eines der ersten Zentren für Alterstraumatologie in Deutschland haben wir mit meiner Kollegin Dr. Kerstin Peters eine geriatrische Fachärztin fest ins unfallchirurgische Team integriert. Sie leitet mit einem unfallchirurgischen Oberarzt gemeinsam den orthogeriatrischen Bereich.
Dr. Peters, Sie haben als Geriaterin im Team der Orthopäden und Unfallchirurgen eine hierzulande noch seltene Position besetzt. Ist dieser Schulterschluss aus Ihrer Sicht geglückt und welche Erfolgsfaktoren sind Basis für eine gute Zusammenarbeit?
Dr. Kerstin Peters: Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die enge Zusammenarbeit und Schulterschluss im Sinne eines ortho-geriatrischen Managements im Vergleich zur bisherigen Standardbehandlung zu einer deutlichen Verbesserung des Gesamtbehandlungsergebnisses und Reduktion der Mortalität führt. Die fragilen
und multimorbiden Patienten erlangen häufiger den bisherigen Alltagsstatus zurück, auch nicht-chirurgische Komplikationen – wie Delir und Organversagen auf internistischem Gebiet (Niere, Herz, Lunge) – werden rasch erkannt und behandelt. Zusätzlich können die vielfältigen Sturzursachen abgeklärt werden. Erfolgsfaktoren für eine gute Zusammenarbeit sind die gemeinsame Verantwortung für den Patienten, Respekt und wertschätzender Umgang mit Kollegen, Patienten und Angehörigen.
Prof. Liener, Sie haben in Ihrer Funktion als Osteologe einen Fracture Liaison Service (FLS) etabliert. Wie sieht dieser konkret aus?
Prof. Dr. Ulrich Liener: Wir haben in unserer Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie ein Osteologisches Zentrum (DVO) etabliert. Ziel unserer Bemühungen ist die ganzheitliche Behandlung des Organs „Knochen“. Während des stationären Aufenthalts werden die Frakturpatienten nicht nur operiert, sondern eben auch auf Osteoporose hin gescreent. Neben drei Universitätsklinken betreibt auch das Marienhospital einen FLS in Deutschland. Zusätzlich zur Identifikation von Osteoporosepatienten bieten wir eine spezielle Osteoporose Sprechstunde im Krankenhaus an, die ich als Osteologe gemeinsam mit einer in osteologischer Weiterbildung befindlichen ärztlichen Kollegin (Frau Dr. Rietig) und einer FLS-Nurse (Frau Sofia Kieninger) leite.
Frau Dr. Rietig, Sie führen gemeinsam mit Prof. Liener die Osteoporose Sprechstunde. Wie werden Osteoporose Patienten während des stationären Aufenthalts identifiziert und nach welchen Kriterien behandeln Sie die Patienten in der Osteoporose Sprechstunde?
Dr. Anne Rietig: Bei Patienten mit Indexfrakturen wie proximalen Femurfrakturen, Wirbelkörperfrakturen und periprothetischen Frakturen wird nach Analyse der osteologischen Parameter und Ausgleich des Vitamin D Defizits noch während der stationären Behandlung mit einer Osteoporose Therapie begonnen. Besteht der hochgradige Verdacht auf eine Osteoporose wie z.B. bei proximalen Humerusfrakturen oder distalen Femurfrakturen führen wir während des stationären Aufenthalts eine DXA Messung durch. In Abhängigkeit von den Ergebnissen wird dann mit der Behandlung begonnen. Bei distalen Radiusfrakturen empfehlen wir eine ambulante Abklärung.
Patienten mit Orthopäden oder Hausarzt wird nach Beginn der Osteoporose Behandlung in unserer Klinik im Brief die Weiterbehandlung empfohlen. Bei Patienten, die keinen Hausarzt oder Orthopäden haben, erfolgt, um eine Therapiepause zu vermeiden, initial die leitliniengerechte Behandlung in der Osteoporosesprechstunde. Im zweiten Schritt binden wir dann die Patienten in unserem Netzwerk ambulant an.
Frau Kieninger, sie leisten in Ihrer Rolle als FLS-Nurse in Deutschland Pionierarbeit und sind mit großem Engagement dabei. Was reizt Sie an Ihrer Position?
Sofia Kieninger: Als FLS Nurse bin ich im Team für die Organisation und den Ablauf in der Sprechstunde verantwortlich. Von Anfang an wurde ich in die Planung und Umsetzung mit einbezogen. Mich reizt die Möglichkeit die Sprechstunde und den FLS weiter zu entwickeln und mit zu gestalten.
Prof. Dr. Ulrich Liener. Damit die Versorgung auch außerhalb der Klinik sichergestellt ist, ist eine Vernetzung mit dem niedergelassenen Bereich sehr wichtig – wie beziehen Sie Ihre Kollegen ein?
Prof. Dr. Ulrich Liener: Es besteht eine enge Verzahnung mit niedergelassenen osteologisch fortgebildeten Orthopäden und endokrinologischen Kollegen im Sinne eines Netzwerkes. Hier erfolgt die ambulante Abklärung von besonderen endokrinologischen Fragestellungen und die Weiterbehandlung. Gemeinsam wurde ein Qualitätszirkel „Osteoporose“ initiiert, welcher in unserer Klinik stattfindet. Wir besprechen dort gemeinsam komplexe osteologische Fälle und führen osteologische Fortbildungen durch.
Alleine durch die demographische Entwicklung nimmt die Anzahl behandlungsbedürftiger Patienten stetig zu. Eine enge Vernetzung mit ambulant tätigen Kollegen ist daher unbedingt notwendig. Insgesamt besteht in der lückenlosen Versorgung noch Verbesserungspotential. Das beginnt mit der kurzfristigen Terminvergabe und endet mit einer sektorübergreifenden Dokumentation von Diagnostik und Therapie der Osteoporose. Wir bauen daher das Netzwerk kontinuierlich weiter aus.
Was kann aus Ihrer Sicht der BVOU zur Vernetzung und sektorübergreifenden Versorgung von Osteoporosepatienten beitragen?
Prof. Dr. Ulrich Liener: Potential sehe ich hier vor allem bei der Unterstützung und Initiierung regionaler sektorübergreifender Netzwerke zur Osteoporoseversorgung. Eine leitliniengerechte Osteoporosetherapie ist eine hervorragende Präventionsmaßnahme für Folgefrakturen. Mittlerweile lässt sich die Osteoporose sehr gut behandeln und ermöglicht älteren Patienten ein selbstbestimmtes Leben in der angestammten Umgebung.
Der BVOU kann die regionale Netzwerkbildung über das Patientenportal Orthinform wirksam unterstützen und darüber die Lücken zwischen stationärer und ambulanter Versorgung von Osteoporosepatienten schließen helfen. Zusätzlich können über die guten Regionalstrukturen des BVOU Osteoporose-Qualitätszirkel initiiert und ein regelmäßiger Austausch der Experten zum Wohle das Patienten unterstützt werden.
Gibt es organisatorische Empfehlungen von Seiten der Sektion Alterstraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) für Kollegen, die ein Alterstraumazentrum oder einen Fracture Liason Service aufbauen wollen?
Prof. Dr. Ulrich Liener: Die Sektion Alterstraumatologie der DGU unterstützt aktiv den Aufbau von Zentren für Alterstraumatolgie und die Etablierung von Fracture Liason Services (FLS). Gemeinsam mit unseren geriatrischen Partnern wurde im letzten Jahr auch das Weißbuch Alterstraumatologie erstellt, welches die nationalen Behandlungsempfehlungen enthält.
Für die Etablierung eines Zentrums sind persönliche Kontakte essentiell um die Organisationsstruktur lokalen Gegebenheiten anzupassen. Hier stellt die Sektion Alterstraumatologie innerhalb des Netzwerks Kontakte her, die helfen entsprechende Strukturen zu etablieren.
Das Interview führte Dr. Jörg Ansorg, Geschäftsführer des BVOU.