Die Digitalisierung kann die ambulante Versorgung der Patienten verbessern, nicht aber den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ersetzen. Kritisch werden die Fehleranfälligkeit der Technik sowie die hohen Kosten und der Zeitdruck bei der Einführung neuer Anwendungen gesehen. Das sind zentrale Ergebnisse des zum dritten Mal von der KBV in Auftrag gegebenen PraxisBarometers, wofür 2.193 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten online befragt wurden.
Insgesamt steht die Ärzteschaft der Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber. „Die Praxen sind an einer weiteren Digitalisierung interessiert“, konstatierte KBV-Vorstandsvize Dr. Stephan Hofmeister am Mittwoch bei der Vorstellung des PraxisBarometers 2020. „Voraussetzung ist allerdings, dass der Mehrwert der Digitalisierung klar erkennbar ist.“ Sie müsse von dauerhaftem Nutzen sein.
Enormer Anstieg bei Praxen mit Videosprechstunde
Angesichts der Corona-Pandemie hat dem PraxisBarometer zufolge die Videosprechstunde in diesem Jahr in vielen Praxen Einzug gehalten – auf fast 40 Prozent (rund 40.000) ist 2020 die Zahl der ärztlichen Praxen gestiegen, die Videosprechstunden anbieten oder dies beabsichtigen. In der psychotherapeutischen Versorgung wurde mit fast 79 Prozent ein noch gravierender Anstieg registriert.
Ermöglicht wurde diese Zunahme in erster Linie durch die von KBV und GKV-Spitzenverband vereinbarten Sonderregelungen und Öffnungen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Der Anstieg zeigt aber auch, wie schnell Praxen agieren können und digitale Anwendungen ausrollen, wenn diese einen Nutzen in der Versorgung haben.
Abgesehen von Corona ist eine große Mehrheit der Praxen der Meinung, dass die Videosprechstunde gut oder sehr gut für die Besprechung von Untersuchungsergebnissen (69 %), für Arzt-Patienten-Gespräche ohne Untersuchung (69 %) und die Anamnese (61 %) geeignet ist. Dagegen stößt sie erwartungsgemäß bei der Diagnosestellung und der Veranlassung weiterer Leistungen bei Erkrankungen der oberen Atemwege an ihre Grenzen – dafür würden lediglich 16 Prozent die Videosprechstunde nutzen.
Hofmeister: Arzt-Patienten-Gespräch bleibt Goldstandard
„Dies zeigt, dass das persönliche Arzt-Patienten-Gespräch weiterhin der Goldstandard ist und bleibt“, betonte Hofmeister. Dies machten ebenso die Ergebnisse zum Thema Fernbehandlung deutlich: Über die Hälfte der Praxen lehnte Fernbehandlungen ab, wenn die Befragten „den Patienten nicht unmittelbar zuvor persönlich gesehen haben“. Ein Viertel der Praxen halte sie bei bekannten Patienten für sinnvoll.
Fehler bei EDV-Systemen teilweise wöchentlich
Als ein Hemmnis der Digitalisierung nennen über 80 Prozent der Befragten die Fehleranfälligkeit der EDV-Systeme. Ein Drittel der Praxen bemängelte monatlich auftretende technische Fehler der Telematikinfrastruktur (TI), bei einem weiteren Drittel treten diese wöchentlich und bei nahezu jedem Zehnten täglich auf.
„Die hohe Fehleranfälligkeit der TI ist alarmierend und führt zu Skepsis vor der Einführung weiterer digitaler Anwendungen“, kritisierte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. „Wenn man bedenkt, dass die Niedergelassenen jeden Tag hunderttausende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen, die sie ab Januar 2021 digital an Krankenkassen übermitteln müssen, kann man sich vorstellen, was passiert, wenn die Technik ausfällt.“
Laut Gesetz soll die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) zum 1. Januar 2021 eingeführt werden. Die KBV hat sich beim Bundesgesundheitsministerium für eine Verschiebung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung der eAU an die Krankenkassen eingesetzt und verhandelt gerade mit dem GKV-Spitzenverband über eine generelle Übergangsfrist ohne Einschränkungen zum 1. Oktober nächsten Jahres.
„Wir wollen nutzbringende Anwendungen ermöglichen, die ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis haben“, betonte Kriedel. „Das geht nicht, indem unter Strafandrohungen zu enge zeitliche Ziele gesetzt werden.“
Chancen der Digitalisierung
Verbesserungen durch die Digitalisierung erwarten die Niedergelassenen dem PraxisBarometer zufolge vor allem in der Kommunikation mit den Krankenhäusern (56 Prozent) und den ärztlichen Kollegen (52 Prozent) sowie im Praxismanagement (43 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten bewertet von Patienten via App erhobene Daten positiv.
Zu den bislang als nützlich bewerteten Anwendungen gehören aus der Sicht der befragten ärztlichen Praxen unter anderem der elektronische Medikationsplan (63 Prozent), das Notfalldatenmanagement (55 Prozent), digitale Verordnungen und Bescheinigungen (52 Prozent) sowie digitale Anwendungen zur Sammlung medizinischer Daten (50 Prozent).
Eher skeptisch gegenüber Nutzen der ePA
Die Erwartungen bezüglich der elektronischen Patientenakte (ePA) sind eher verhalten. Von einer flächendeckenden Einführung erwarten die befragten Ärzte und Psychotherapeuten vor allem einen Nutzen für ihre Praxisorganisation, lediglich ein Viertel der Praxen rechnet mit Verbesserungen für die Diagnose- und Indikationsqualität, ein Fünftel auch für die Behandlungsqualität. Immerhin geht mehr als die Hälfte der Praxen nicht davon aus, dass sich durch die ePA die Arzt-Patienten-Beziehung verschlechtert.
Ziel: Digitalisierung mitgestalten
Mit dem vom IGES Institut erhobenen PraxisBarometer Digitalisierung will die KBV herausfinden, welche digitalen Angebote die rund 175.000 Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten bereits nutzen, welche Rolle sie in den Praxen spielen und wie gut sie im Arbeitsalltag funktionieren. Die Befragungsergebnisse sollen die KBV dabei unterstützen, die Digitalisierung im Sinne der Niedergelassenen zu gestalten.
Bei der diesjährigen Befragung sollten sich die Ärzte und Psychotherapeuten vor allem dazu äußern, welche Chancen und Risiken sie bei der digitalen Entwicklung sehen, aber auch welche Erfahrungen sie bisher mit der TI und digitalen Anwendungen wie der Videosprechstunde gemacht haben. Zudem wurde nach Bereichen gefragt, in denen Digitalisierung aus ihrer Sicht sinnvoll ist.
Quelle: KBV