Nürnberg – Die deutschen Anästhesisten wehren sich gegen eilige Bestrebungen, auf europäischer Ebene einen Facharzt für Intensivmedizin einzuführen.
Gemeinsam mit verschiedenen anderen medizinischen Fachgesellschaften, die an der Versorgung von Patienten auf den Intensivstationen beteiligt sind, haben die „Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin“ (DGAI) und der „Berufsverband Deutscher Anästhesisten“ (BDA) ein Protestschreiben verfasst. Sie sind verärgert über die „European Society of Intensive Care Medicine“ (ESICM), die der EU-Kommission offenbar ohne Abstimmung neue Pläne zur Einführung eines Facharztes für Intensivmedizin auf europäischer Ebene vorgelegt hat. Die ESICM führt seit fast 40 Jahren die Interessen von Intensivmedizinern aus weit über 20 Staaten zusammen.
„Überlebensrate bestätigt hohe Versorgungsqualität“
„Eine solche Initiative ist inhaltlich und formal inakzeptabel“, sagt DGAI-Generalsekretär, Professor Dr. Bernhard Zwißler. Er vermutet, dass die Corona-Pandemie hier zu berufspolitischen Zwecken missbraucht werden soll. In ihrem Protestbrief schreiben die Fachgesellschaften weiter: Gerade in diesen herausfordernden Zeiten müssten Reformen, die die intensivmedizinische Weiterbildung betreffen, sorgfältig abgewogen und alle beteiligten Fachgesellschaften und europäischen Länder gehört und einbezogen werden: „Die im europäischen Kontext – auch im Vergleich zu Ländern mit einem Facharzt für Intensivmedizin – sehr guten intensivmedizinischen Überlebensraten von Covid-19 Patienten in Deutschland und Österreich bestätigen die hohe Versorgungsqualität, die mit dem bestehenden System erreicht werden kann.“ Die Behauptung, dass durch einen Facharzt für Intensivmedizin Europa besser auf die Covid-19 Pandemie vorbereitet gewesen wäre, werde dadurch widerlegt.
Ausbildung zum Facharzt und Prüfung in Intensivmedizin
In Deutschland und Europa gibt es bislang keinen Facharzt für Intensivmedizin. Die Ärzte aus den einzelnen medizinischen Fachbereichen, die Intensivmedizin betreiben, können lediglich in ihrem Fachgebiet vor der Ärztekammer eine Facharztprüfung ablegen. Außerdem haben sie in Deutschland die Möglichkeit, eine Zusatzprüfung für „Spezielle Intensivmedizin“ zu absolvieren, womit ihnen noch einmal vertieftes Wissen in der Intensivmedizin bescheinigt wird.
Dass es in Deutschland und Europa keinen Facharzt für Intensivmedizin gibt, hat nach Ansicht der deutschen Anästhesisten und der anderen Fachgesellschaften generell seine Gründe: Weil die Intensivmediziner aus verschiedenen Richtungen
kommen, ist die Breite an Ansätzen und Wissen zur Therapie eines Patienten sehr viel größer. Das hat sich offenbar bewährt.
Fachgesellschaften dennoch gesprächsbereit
Dennoch signalisieren die Chirurgen und Internisten sowie die deutschen, österreichischen und europäischen Anästhesisten, die den Text unterzeichnet haben, ihre Gesprächsbereitschaft: „Wir bieten einen konstruktiven Dialog an, um auch zukünftig die bestmögliche Versorgung von kritisch kranken Bürgerinnen und Bürgern in Europa zu sichern.“ Die Einleitung eines solchen Diskussionsprozesses sehe aber auch eine Moderation durch die Fachärzte-Gemeinschaft „European Union of Medical Specialists“ vor. Nur so könne eine nachhaltige europäische Lösung gelingen.
Quelle: BDA