Berlin – „Die verabredete Erhöhung des Mindestsprechstundenangebotes der Vertragsärzte durch die zukünftigen Koalitionspartner ist ein Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Ärzte in Deutschland. Sie stellt einen staatlichen Eingriff in das Gesundheitswesen und die gemeinsame Selbstverwaltung zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft dar“, kritisierte Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (SpiFa) den Koalitionsvertrag von SPD und Union. Bereits seit mehreren Jahren zeigten repräsentative Untersuchungen, dass die wöchentliche Arbeitszeit mehr als 50 Stunden pro Woche betrage. „Die Arbeitszeit pro Woche, welche für Patientensprechstunden dabei aufgewandt wird, lag bereits 2016 bei durchschnittlich 32,6 Stunden pro Woche. Am Tag werden während dieser Zeit rund 45 Patienten behandelt“, so Heinrich.
Kein Wort zur Vergütung für die verlangte Mehrarbeit
„Eine pauschale Erhöhung um 25 Prozent der Sprechstundenzeit führt gleichzeitig zu einer Erhöhung der begleitenden Wochenarbeitszeit der Ärzte für Verwaltung, Organisation und nicht-ärztliche Tätigkeiten um rund zehn Stunden pro Woche. Ärzte arbeiten damit dann rund 62 Stunden pro Woche, ohne dass die Koalitionsverhandler ein Wort über eine Vergütung dieser Zeit verlieren“, so Heinrich weiter.
Abwägender äußerte sich die Bundesärztekammer (BÄK): „Es ist sehr vernünftig, dass das in den Koalitionsverhandlungen höchst strittige Thema des Vergütungssystems nicht mehr unter Zeitdruck entschieden worden ist“, sagte BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery. „Eine von der Bundesregierung eingesetzte wissenschaftliche Kommission soll nunmehr eingehend die medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen für ein modernes Vergütungssystem erörtern. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, so die Koalitionäre, wird danach entschieden. Damit haben alle Beteiligten die Möglichkeit, sich noch einmal eingehend mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein modernes Vergütungssystem wie auch den möglichen strukturellen und finanziellen Verwerfungen auseinanderzusetzen.“
Marburger Bund sieht sinnvolle Ansätze
Die Maßnahmen im stationären Bereich versprächen mehr Planungssicherheit für die Krankenhäuser und zusätzliche Investitionen für Strukturveränderungen, Digitalisierung und neue Technologien, kommentierte Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes, die von CDU, CSU und SPD verabredeten gesundheitspolitischen Vorhaben im Koalitionsvertrag der Parteien. „Die im Entwurf des Koalitionsvertrages dokumentierte Absicht, die Pflegepersonalkosten vom Fallpauschalen-System auszunehmen, kann der Auftakt zu einer tatsächlich bedarfsorientierten und weniger rein erlösorientierten Personalermittlung der Krankenhäuser sein. Es wächst hoffentlich die Einsicht, dass Personalkosten nicht in einem pauschalierten System bedarfsgerecht abgebildet werden können. Wir erwarten, dass in einem weiteren Schritt sämtliche Personalkosten außerhalb der DRG-Systematik finanziert werden. Damit wäre der Weg frei zu einer Krankenhausvergütung 2.0“, so Botzlar.
Der Marburger Bund werde weiterhin darauf drängen, das flächendeckend angewandte Fallpauschalensystem zur Abrechnung stationärer Leistungen durch ein differenziertes, dem Versorgungsbedarf entsprechendes Abrechnungssystem zu ersetzen. Die Abkopplung der Pflegepersonalkosten könne insofern nur ein erster Schritt zur Reform der Krankenhausfinanzierung sein. Ein wirklicher Fortschritt sei die angekündigte vollständige Refinanzierung von Tariflohnsteigerungen im Krankenhausbereich und die damit verbundene Nachweispflicht für die Kliniken. „Ziel muss es sein, die Arbeitssituation aller Beschäftigten in den Krankenhäusern dauerhaft zu verbessern. Vor allem daran werden wir die Politik der neuen Regierung messen“, sagte Botzlar.
Quellen: Pressemitteilungen SpiFa, BÄK, MB