Berlin – Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020 haben die Patientinnen und Patienten in Deutschland deutlich weniger vertragsärztliche und vertragspsychotherapeutische Leitungen in Anspruch genommen als im Vorjahr. Erst gegen Ende Mai normalisiert sich die Inanspruchnahme allmählich wieder. So liegen die Gesamtfallzahlen im Zeitraum vom 1. bis 28. April und vom 29. April bis 26. Mai 2020 um 23 bzw. 15 Prozent unter denen des Vorjahreszeitraums. Die stärksten Rückgänge sind dabei im Rahmen der kinder- und fachärztlichen Versorgung mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt zu verzeichnen. Hier ist der Einbruch mit 34 bzw. 26 Prozent im Zeitraum vom 1. bis 28. April 2020 im Vergleich zum Vorjahr besonders deutlich. Vom 27. Mai bis 30. Juni 2020 liegt die Gesamtfallzahl mit 3 Prozent dann wieder leicht über der Fallzahl des Vorjahreszeitraums. Je nach Fachgruppe sind dabei unterschiedlich stark ausgeprägte Nachholeffekte bei Behandlungsfällen mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt zu erkennen – jeweils +10 Prozent bei Haus- und Fachärzten, 16 Prozent bei den Kinderärzten und 23 Prozent bei den Psychotherapeuten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Das sind die zentralen Ergebnisse des heute veröffentlichten Trendreports des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zur Entwicklung der ärztlichen Leistungen im 1. Halbjahr 2020. Der Report basiert auf den Frühinformationen aus den ärztlichen Abrechnungsdaten von 16 der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen. Er knüpft an die Ergebnisse des Zi-Reports zum 1. Quartal 2020 an.
„Die Pandemie hat einen deutlichen Effekt auf die vertragsärztliche Versorgung: Einerseits werden telemedizinische Behandlungsmöglichkeiten immer stärker genutzt, um persönliche Kontakte zu minimieren. Andererseits muss weiter beobachtet werden, wie sich die bei steigenden Infektzahlen deutlich rückläufigen Behandlungsfallzahlen für Patientinnen und Patienten mit chronischen Krankheiten, wie etwa in der onkologischen Versorgung oder bei den Disease-Management-Programmen (DMP), mittelfristig auswirken werden. Insgesamt zeichnet sich im 1. Halbjahr ab Ende Mai eine langsame Normalisierung des Versorgungsgeschehens ab. Der stärkste Wiederanstieg bei den Fallzahlen ist dabei im Bereich der Psychotherapie sowie bei einzelnen Facharztgruppen wie etwa bei Nervenärzten und Schmerztherapeuten zu erkennen. Der Trendreport lässt zudem erkennen, dass von weiteren ausgeprägten Effekten der zweiten Pandemiewelle auf die vertragsärztliche und psychotherapeutische Versorgung ausgegangen werden muss“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Während die Zahl der Behandlungsfälle mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt bis Ende Mai gegenüber dem Vorjahr gesunken ist, sind die Fälle mit telefonischer Beratung oder per Videosprechstunde mit Beginn der Kontaktbeschränkungen ab März 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen. So wurden im Zeitraum vom 4. März bis 30. Juni 2020 insgesamt rund 3,1 Millionen ausschließlich telefonische Beratungen abgerechnet. Das sind gut 1,6 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum. Hinzu kamen weitere rund 500.000 Stunden für telefonische Beratung, die über die im 2. Quartal 2020 in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) eingeführten Zuschläge vergütet wurden. Auch die Videosprechstunde wird von April bis Juni immer stärker in Anspruch genommen. So wurden vom 4. März bis 30. Juni insgesamt 1,24 Millionen Videosprechstunden durchgeführt, im Vorjahreszeitraum lag diese Zahl bei wenigen tausend. Die Häufigkeit der telefonischen Beratung und der Videosprechstunde folgt dem Pandemieverlauf und nimmt im 2. Quartal wieder ab, obgleich das Niveau über dem des Vorjahreszeitraums liegt.
Während bei der Dialyse eher leichte Zunahmen zu beobachten waren, sind die Behandlungsfälle im Notfall deutlich rückläufig. Eine Ausnahme bilden ärztliche Besuche im organisierten Notdienst während der Expansionsphase der ersten Welle zwischen dem 18. und 31. März 2020. Verschiebbare Leistungen, wie die Krankheitsfrüherkennung, gehörten im 1. Quartal 2020 erwartungsgemäß zu den Leistungsbereichen, die besonders stark rückläufig waren. So ist die Zahl der Behandlungsfälle beim Mammographie-Screening in der letzten Märzwoche 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 83 Prozent, beim Hautkrebsscreening um 70 Prozent, bei der Früherkennungskoloskopie um 43 Prozent und bei der Früherkennung von Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter um 23 Prozent gesunken. Nur etwa halb so stark waren die Rückgänge etwa für Schulungen im Rahmen von DMPs oder auch die Fallzahlen bei der bildgebenden Diagnostik. Auch hier normalisiert sich die Inanspruchnahme dieser von der Pandemie stark betroffenen Leistungsbereiche erst wieder ab Ende Mai.
Die Entwicklung der Psychotherapie-Fallzahlen stellt sich erwartungsgemäß bei den Einzeltherapien anders dar als bei den Gruppentherapien. Während bei den Einzeltherapien der stärkste Rückgang in der Woche vom 18. bis 24. März 2020 zu beobachten ist und sich die Fallzahlen bereits ab April fast wieder auf den Vorjahreswert erholen, brechen die Fallzahlen bei den Gruppentherapien bis Ende April zunehmend ein (-60 Prozent in den ersten vier Aprilwochen). Sie erreichen auch bis Ende Juni das Vorjahresniveau nicht mehr (-10 Prozent in der Zeit vom 27. Mai bis 30. Juni 2020).
Quelle: Zi