Frankfurt am Main – In einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung wird dafür plädiert, die Kliniklandschaft in Deutschland von dzt. 1364 Kliniken (Krankenhauspläne der Bundesländer) auf weniger als 600 zu senken. 666 Kliniken verfügten über 100 Betten oder weniger. Selbst lebensbedrohliche Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfälle könnten hier nicht immer und jederzeit suffizient behandelt werden. Der Patient wird damit Spielball des Zufalls. Der Raum Köln-Leverkusen könne auf 24 der 38 Häuser verzichten. Ziel ist eine Konzentrierung von Fachkompetenz und Fallzahlen und damit eine vermeintliche Qualitätssteigerung. Man darf mutmaßen, dass auch ökonomische Überlegungen eine wesentliche Rolle spielen. Die finanzielle Ausstattung vieler Kliniken ist prekär. Zudem sind die Klinik- und Bettenzahlen bezogen auf die Bevölkerungsanteile in Deutschland im europäischen Vergleich unbestritten hoch.
Applaus kommt von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Eine stärkere Zentralisierung sei notwendig. Ausschlaggebend für eine qualitätsgesicherte Versorgung seien eine gute technische Ausstattung der Häuser und erfahrene Ärzte. Auch der Spitzenverband der Krankenkassen teilt inhaltlich viele Aspekte der Studie.
Kritik gegen den vorgeschlagenen Kahlschlag kommt von vielen Verbänden und Interessensgruppen. So verweist der Präsident der BÄK, Dr. Klaus Reinhardt, auf die Bedeutung der Daseinsvorsorge und Sicherung einer gut erreichbaren, wohnortnahen Gesundheitsinfrastruktur, wie die „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“ der Bundesregierung gerade erst gefordert habe. Gerade im ländlichen Raum müsse die flächendeckende Versorgung der Patienten sichergestellt werden. Dr. Gerald Gaß, Präsident der DKG, meint: „Wer vorschlägt, von ca. 1600 Akutkrankenhäusern 1000 plattzumachen und die verbleibenden 600 zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichem Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern.“
Der ambulante Bereich wäre derzeit jedenfalls unfähig, die wegfallenden Klinikbetten bei „Vollambulantisierung“ zu kompensieren. Zudem wird gerade in kleineren Kliniken häufig auch temporär Pflege älterer Patienten betrieben. Stationäre Pflegeinrichtungen oder gar familiäre Strukturen wären in Deutschland bei Wegfall dieses „Puffers“ jedenfalls völlig überfordert. Die Strukturmaßnahmen müssten daher die gesamte Gesundheitslandschaft und das gesamte Gesundheitssystem in Deutschland umfassen. Kaum vorstellbar. Erst recht nicht im Föderalismus.
Woher stammen solche „Ideen“?
Ein Blick gen Norden zeigt: die Dänen haben sich für einen etatistischen Ansatz einer solchen Neuordnung ihrer Kliniklandschaft entschieden. Seit 2007 läuft das „Superspital“-Programm. Gebaut werden 16 neue Kliniken für 6,6 Mrd. Euro. Bis 2025 sollen von den ehemals 79 Krankenhäusern in 2007 nur noch 53 übrig bleiben – davon 21 mit Notfallstationen. Die Kliniklandschaft wird völlig neu geordnet. Die Wege werden für die Patienten weiter. Über die Standorte der – neuen – Kliniken entscheidet zentral eine fünfköpfige Expertenkommission. Die Regionen müssen sich fügen. Ziele sind u.a. die Konzentration komplexer Eingriffe zur Steigerung der Qualität durch Expertise, Senkung von Krankenhausinfektionen durch Einzelzimmer, kürzere Verweildauern. In Norddänemark gibt es bereits Videoschaltungen in die Ambulanzen mit deren Hilfe erste Ferndiagnosen gestellt werden und eine Triage vorgenommen wird. In Dänemark ist bereits seit zehn Jahren eine telefonische Voranmeldung zwingend – über Hausarzt oder Hotline. Ähnliches soll in Deutschland nun auch eingeführt werden. Ein erster Gesetzentwurf liegt dazu vor.
Das dänische Modell ist aber auch nicht ohne Kritik. In einer aktuellen Studie der Denkfabrik Health Consumer Powerhouse landet das Land im europäischen Vergleich „nur“ noch auf Rang 4. Notfallstationen seien schwieriger erreichbar. Die Schweiz hingegen kommt auf Platz 1. Aber auch in der Schweiz kommt man um eine stärkere Konzentration der Spitäler nicht herum. Kleinere Spitäler müssten vermehrt in Zentren für ambulante Behandlungen umgewandelt werden, zumal der klassische Hausarzt vielerorts verschwindet.
Unbestreitbar allerdings ist, dass es in Deutschland in den Ballungszentren ein Überangebot an Krankenhausbetten gibt. Eine sinnvolle, arbeitsteilige Aufgabenteilung unterbleibt in der Regel. Alle bieten möglichst Alles an – und konkurrieren zudem noch zunehmend mit ambulanten Einrichtungen und Tageskliniken. Größe ist – vermeintlich – Marktmacht und: wer baut, muss „am Netz“ gehalten werden. Dies führt zu einer Sucht, möglichst Maximalversorger mit Bauvorhaben zu sein. Oder zu Begriffsmonstern wie „Supra-Maximalversorger“. Bei allgemein begrenzten Mitteln werden die Kliniken baulich und bei der technischen Ausstattung allerdings „ausgebremst“. Anspruch und Wirklichkeit passen häufig nicht zueinander. Land und Träger kommen ihren investiven Verpflichtungen nicht nach – weil kein Geld vorhanden ist. Zudem werden die DRG’s – sofern „mengenanfällig“ – jährlich abgewertet. Das all dies zu Lasten der Qualität der Patientenversorgung gehen muss und zu „Windhundrennen“ führt, ist leicht nachvollziehbar. Die Frustrationstoleranz der Klinik-Angestellten ist vielerorts schon überschritten…. Top-Fachärzte*innen verlassen inzwischen auch Unikliniken und entscheiden sich für eine Selbstständigkeit in spezialisierten Privatkliniken oder in der Niederlassung, da eine Klinikkarriere in leitender Position zunehmend unattraktiv wird. Es entsteht ein Mangel an hoch-qualifiziertem Fachpersonal: in der Ärzteschaft wie in der Pflege.
Eine gezielte regionale Schließung einzelner Kliniken in konsentiert überversorgten Gebieten könnte hier hilfreich sein – bei der Allokation von finanziellen wie von Fachkräfte-Ressourcen. Hierzu müsste allerdings zunächst die Erkenntnis reifen und ein übergreifender politischer Wille vorhanden sein. Damit ist auch weiterhin nicht zu rechnen. Weitere Möglichkeiten wären die Konzentrierung von operativen Eingriffen auf spezialisierte Kliniken mit klar definierten Mindestmengen und Qualitätskontrollen. Hier könnten sich Politik und Kostenträger mit den spezialisierten chirurgischen Fachgesellschaften und Verbänden abstimmen, die wissen, wo die Expertise „sitzt“ – ohne Berührungsängste. Auch damit ist leider nicht zu rechnen.
Damit bleibt die Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung in erster Linie ein allerdings beachtenswerter Beitrag zur Füllung des Sommerlochs. Die Kliniken werden wohl weiter im „kollektiven Würgegriff“ bleiben.
Prof. Dr. Dr. Reinhard Hoffmann
Vizepräsident BVOU