Freiburg – Durch den Mund an die Wirbelsäule: Mit einer ungewöhnlichen Operation bewahrten Unfallchirurgen und Gesichtschirurgen des Universitätsklinikums Freiburg einen jungen Mann vor einer Querschnittslähmung. Der 18-Jährige war Ende Juni nachts an den Bahnschienen im Freiburger Stadtgebiet entlang gegangen und dabei von einem vorbeifahrenden Zug erfasst worden.
Erst am nächsten Morgen war der schwerverletzte Mann von einem Zugführer entdeckt und von einem Rettungswagen in das Notfallzentrum des Universitätsklinikums Freiburg gebracht worden. Dort stellten die Ärzte anhand eines Ganzkörper-Computertomogramms eine Reihe von Verletzungen fest: Leber, Niere und Milz waren teilweise gerissen, Rippen gebrochen, die Lunge gequetscht. Durch einen kleinen Riss in einem inneren Gesichtsknochen drang Luft ins Gehirn ein. Außerdem waren ein Lendenwirbel und ein Halswirbel gebrochen.
Zunächst war die niedrige Körpertemperatur des Patienten von 31 Grad Celsius das größte Problem. „Wäre es nachts etwas kälter gewesen, hätte er vermutlich nicht überlebt“, sagt PD Dr. Kilian Reising, Leitender Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Da eine so niedrige Körpertemperatur die Blutgerinnung beeinträchtigt, wäre eine Operation unter diesen Umständen lebensgefährlich gewesen. Darum hoben die Ärzte zunächst die Körpertemperatur langsam an.
Stabilisierung der Wirbelsäule dringend notwendig
Während sich in den folgenden Tagen zeigte, dass die inneren Verletzungen nicht operationsbedürftig waren, mussten die Wirbelbrüche unbedingt stabilisiert werden. Das Verbindungselement des zweiten Halswirbels, auf dem der erste Wirbel ruht, war abgebrochen und hatte sich verschoben. Üblicherweise werden bei einem solchen Bruch mehrere Wirbel und der Kopf vom Rücken aus miteinander verschraubt. „Das bringt die nötige Stabilität, aber der Patient kann nie wieder seinen Kopf vollständig drehen. Das wollten wir dem jungen Mann nicht antun und haben deshalb alternative Lösungen gesucht“, erklärt Reising.
Suche nach alternativen Methoden
Die Mediziner entschlossen sich zu einer anderen Vorgehensweise. Auf Höhe des Kehlkopfes öffneten sie von vorne den Hals, schoben Luft- und Speiseröhre auf die eine und die großen Halsgefäße auf die andere Seite. Dann fixierten sie mit einer etwa vier Zentimeter langen Schraube den abgebrochenen Teil des Wirbels. Doch wenige Tage später zeigte sich, dass die Schraube den Wirbel nicht dauerhaft stabilisierte. Die Mediziner suchten daher einen neuen Weg, weiterhin in der Hoffnung, die Beweglichkeit des jungen Patienten zu erhalten.
Über die Rachenhinterwand an die Wirbelsäule
Prof. Dr. Dr. Rainer Schmelzeisen, Ärztlicher Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums, und Prof. Dr. Norbert Südkamp, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, schlugen vor, durch den Mund hinter dem weichen Gaumen an die Wirbelsäule zu gelangen: eine Technik, die weltweit sehr selten durchgeführt wird. „Vorteil dieser Operation ist, dass man den vorderen Bereich der Halswirbelsäule und insbesondere die Wirbel unmittelbar unterhalb des Schädels direkt sieht. Über diesen Zugang ist eine anatomische Stabilisierung besonders gut möglich“, sagt Schmelzeisen. Der Kieferchirurg ist einer der wenigen weltweit, der eine solche Operation bereits zwei Mal durchgeführt hat.
Mit einem feinen Faden wurde zunächst der weiche Gaumen mit dem Zäpfchen nach vorne und zur Seite bewegt und damit der Blick auf die Rachenhinterwand freigelegt. Mit einem etwa sechs Zentimeter langen Schnitt durch Schleimhaut und Muskulatur des Rachens legte Schmelzeisen die bindegewebige Faszienschicht vor der Wirbelsäule frei. Nachdem er diese ebenfalls eingeschnitten hatte, erschien die knöcherne Fläche der Wirbel. Durch vorsichtige Präparation gelang es Schmelzeisen, lebenswichtige Gefäße, wie die beidseits seitlich verlaufende innere Hirnschlagader nicht zu verletzen.
Operation verlief erfolgreich
Mittels eines Endoskops hatten die Chirurgen einen guten Blick auf das Operationsgebiet: „Der gebrochene Wirbel ließ sich gut erkennen. Nachdem wir ihn freipräpariert hatten, konnten die Unfallchirurgen die Fixierung vornehmen“, erklärt Schmelzeisen. Mit fünf Schrauben wurde eine t-förmige Metallplatte, die eigentlich für die Stabilisierung von Brüchen der Speiche verwendet wird, an den Wirbel angebracht. Schließlich wurde die Rachenhinterwand wieder vernäht. Gut drei Wochen nach dem schweren Unfall habe der Patient das Krankenhaus mit einer sehr guten Gesundheitsprognose verlassen können, so das Klinikum. „Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass der Patient wieder vollständig gesund wird“, sagt Reising.
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg
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