Berlin – Am 9. September 2022 fand zur geplanten Abschaffung der Neupatientenregelung eine Sondersitzung der Mitglieder der KBV-VV und der Vorstände und VV-Vorsitzenden der KVen statt. In der Sondersitzung hatten die Mitglieder der Vertreterversammlung gemeinsam mit den Vorständen von KBV und Kassenärztlichen Vereinigungen die Folgen der von der Politik aufgestellten Sparpläne aufgezeigt und ein deutliches Zeichen gegen eine Schwächung der ambulanten Versorgung gesetzt. BVOU-Präsident Dr. Burkhard Lembeck beteiligte sich mit einem Redebeitrag und richtete sich mit deutlichen Worten an die Politik: „Stoppt den Wahnsinn, legt nicht die Axt an die ambulante Gesundheitsversorgung!“ Den Mitschnitt der Sitzung können Sie hier anschauen, das Redemanuskript von Dr. Lembeck steht unten zum Download bereit.
Rede anlässlich der außerordentlichen VV der KBV in Berlin am 09.09.2022
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin niedergelassener Orthopäde und Unfallchirurg in der Nähe von Stuttgart und heute ist der letzte Tag der Ferien in Baden-Württemberg und Bayern. Eigentlich wäre ich nicht hier, sondern in Schweden bzw. auf der Rückreise von dort.
Aber manchmal muss der Urlaub halt hintenanstehen!
In Schweden gab es dieses Jahr zwei Themen, die die Gespräche dort beherrschten: Das eine waren die gestiegenen Energiepreise infolge des Ukrainekrieges – auch die schwedische Bevölkerung ächzt unter drei bis vierfach gestiegenen Kosten.
Das andere Thema, dies allerdings nicht neu, war die ambulante Gesundheitsversorgung. Dieses Jahr traf ich dort ein deutsches Rentnerehepaar, das eigentlich seinen Ruhestand in Schweden verbringen wollte – Häuschen am See in idyllischer Lage – soweit alles perfekt.
Nun wird man älter, sie auch wohl schwer kardiologisch belastet und stellt fest, dass der Hausarzt in Schweden nur über die Gemeindeschwester, der Facharzt nur mit 3 bis 6-monatiger Wartezeit zu erreichen ist.
Die beiden gehen wieder zurück nach Deutschland, nach Schleswig-Holstein.
Die ambulante Gesundheitsversorgung bei uns in Deutschland, die Sie und ich, unsere Praxen, aufrechterhalten, gilt im Ausland als mustergültig. Flächendeckend vorhanden, zeitnah verfügbar und bezahlbar.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, in meiner Praxis gibt es viele Patienten mit ausländischem Wohnsitz, die deswegen nach Deutschland kommen – für die US-Amerikaner ist es „insane“ billig, für die Expats der großen deutschen Firmen, die beste Gelegenheit sich und ihre Kinder untersuchen zu lassen.
Die ambulante Gesundheitsversorgung bei uns in Deutschland, sie ist ein Standortvorteil. Die Wirtschaft schaut bei der globalen Ortssuche eben auch genau nach der Infrastruktur für die Mitarbeiter: Sind Schulen für die Kinder vorhanden, ist der Arzt für die Mitarbeiter erreichbar?
Von Standortvorteil, guter Gesundheitsinfrastruktur höre ich in Deutschland von Seiten der Politik, von Seiten der Krankenkassen seit Jahren nichts:
Da ist von Überversorgung, von doppelter Facharztschiene die Rede – und von dem Beitrag, den wir zur Deckung der Finanzierungslücke jetzt zu leisten hätten.
Da haut es mich fast vom Hocker- seit Jahren subventionieren wir niedergelassenen Ärzte diese ambulante Gesundheitsversorgung mit Milliarden, mit Milliarden wohlgemerkt.
Seit Jahren bekomme ich meine Ordinationsziffer in Höhe von 20 Euro nicht in voller Höhe ausbezahlt, weil wir in der Praxis mal wieder mehr geleistet haben als das Budget hergibt.
Und weil das seit Jahren so geht, hat das System in den letzten Jahren auch immer mehr Schieflage bekommen:
Patienten, bei denen die Ordination in Euro und Cent gezahlt wurde: Selbstzahler, berufsgenossenschaftlich Versicherte, gesetzlich Versicherte in Selektivverträgen hatten weniger Schwierigkeiten Termine zu bekommen – allerdings nicht in dem Maße, wie es ökonomisch konsequent gewesen wäre,
Denn: Wir sind Ärzte und keine Kaufleute! Natürlich bleibt die Handgelenksfraktur am 25. März nicht vor der Praxistür stehen!
Aber, man begann den ethischen Nasenring zu überdehnen und die Zechprellerei der GKV zeigte Folgen.
Dies hat die Politik in der letzten Legislaturperiode erkannt und mit dem TSVG begann man die Erbsünde der Budgetierung zumindest teilweise wieder aufzuheben. Für viele meiner Kollegen in O und U, vor allen Dingen in den ostdeutschen Bundesländern, die mit nicht mehr kostendeckenden Scheinwerten zu kämpfen hatten und dies nicht durch andere Patientengruppen kompensieren konnten, war es jedoch ein Lichtblick
Die weitere Story ist bekannt, der Lichtblick dauerte nicht mal ein Jahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn man seit Jahren die ambulante fachärztliche Versorgung als doppelt diskreditiert, wenn man die Preise unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze drückt, wenn man budgetiert, dann werden die Kahlschläge in der ambulanten Gesundheitsversorgung nicht ausbleiben – das ist wie mit den Bäckereien vor Ort, denen geht dann auch die Luft aus.
Dann muss man der Bevölkerung aber auch die Konsequenzen schildern:
Wartezeiten wie in Schweden von 3- 6 Monaten werden jetzt Realität werden.
Eine knallharte 2 Klassenmedizin: mit Selbstzahlern, Unfallversicherten und gesetzlichen Versicherten im Selektivvertrag in der ersten Klasse und den übrigen in der zweiten Klasse – uns bleibt wirtschaftlich keine andere Wahl, wir müssen unsere MFAs, unsere Praxismiete erwirtschaften.
2- Klassenmedizin – der, der sie abschaffen wollte, führt sie jetzt erst richtig ein- das nennt man dann wohl Ironie des Schicksals!
Noch ist es nicht zu spät: Mein Appell an die Politik: Stoppt den Wahnsinn, bringt nicht noch mehr Unruhe in die Bevölkerung, die ist mit den Energiepreisen schon genug gestraft. Legt nicht die Axt an die ambulante Gesundheitsversorgung, das ist ein Pfund, mit dem Ihr im internationalen Vergleich wuchern könnt –
Letztlich quetschen sie 400 Mio. aus einem System wieder heraus, das wir Ärzte seit Jahren milliardenschwer subventionieren -das aber, anders als in Schweden, bisher so funktioniert hat, dass die Bevölkerung sich gut abgesichert gesehen hat
Es ist allemal kein Preis, um den sozialen Frieden in Deutschland aufs Spiel zu setzen!
Ich danke Ihnen!
Dr. Burkhard Lembeck
BVOU-Präsident
Vollständige Aufzeichnung der Sitzung