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Das Versprechen von der Heilung ohne Operation

Berlin – Das Autoren-Duo Liebscher & Bracht haben angeblich einen „Jahrhundertirrtum der Medizin“ aufgedeckt und bieten im Internet teure Hilfsmittel gegen Arthrose an. Das Problem: Irreführende Aussagen schüren Misstrauen in die Medizin, die Verantwortung für ihre Genesung wird subtil auf die Patienten geschoben.

„Mich hat das Versprechen begeistert, um eine Operation herumzukommen“, sagt Heinz Wessinghage. Der 83-Jährige kämpfte jahrelang mit Tipps, Übungen und speziellen Physiotherapien von Liebscher & Bracht gegen seine Beschwerden an. Jahre des Schmerzes, die hätten vermieden werden können – wie Wessinghage heute weiß.

Der 83-Jährige war sein ganzes Leben sportlich. Noch vor drei Jahren ging er regelmäßig Laufen. Doch dann ging es ihm ähnlich wie etwa einem Drittel der Männer und knapp der Hälfte der Frauen über 65 Jahre in Deutschland – er bekam Arthrose. „Ich hatte Schmerzen in der Hüfte. Zunächst nur gelegentlich, dann immer häufiger und später waren sie so schlimm, dass ich nicht mehr schlafen konnte.“ Der ehemalige Zeitungredakteur für Sport konnte nur noch mit Stock gehen, an Joggen oder nur Spaziergänge war nicht mehr zu denken. Ärzte rieten ihm zu einer Hüft-Prothese. „Aber ich war misstrauisch. Man hört und liest so viel über unangebrachte Operationen.“ Er stieß im Internet auf die Webseite von Liebscher & Bracht und war angetan. „Die Bücher und die Tipps sagten mir, dass ich das Problem mit Übungen, Nahrungsergänzungsmitteln und Physiotherapie selbst in den Griff bekomme.“ Ein Physiotherapeut, der nach Liebscher &Bracht arbeitet, beschied ihm, er brauche keine Hüft-Operation. „Ich vertraute dem Therapeuten. Nach jeder Sitzung war ich optimistisch und fühlte mich besser – allerdings hielt dieser Effekt immer nur wenige Stunden an.“

Als es Wessinghage dann im vergangenen Jahr immer schlechter ging und verschiedene andere Erkrankungen hinzukamen, ließ er sich doch eine Hüftprothese in einer Klinik einsetzen – mit durchschlagendem Erfolg. „Es war unglaublich, nach einer Woche war ich schmerzfrei. Ich hätte mir Vieles erspart, wenn ich mich gleich hätte operieren lassen.“

Skandal suggeriert: Gibt es die Arthrose-Lüge?

Davon abgehalten haben ihn die Methoden und Theorien von Liebscher & Bracht. „Die Arthrose-Lüge“ heißt das Buch von Roland Liebscher-Bracht und der Ärztin Petra Bracht. Der Titel suggeriert einen Skandal: Werden wir über die wahren Ursachen der Arthrose belogen? Beruhen gängige Therapien auf einer absichtlichen Täuschung der Medizinindustrie?

Nach Liebscher & Bracht gibt es tatsächlich zwei Realitäten zur Behandlung von Arthrose und Schmerzen. Die „herkömmliche Sichtweise“ der Medizin und diejenige des Autoren-Duos.

Ihre Sichtweise verkünden Roland Liebscher-Bracht und seine Frau nicht nur in Büchern, sondern auch auf ihrem Youtube-Kanal, der enorm erfolgreich ist: Mehr als 1,21 Millionen Abonnenten sind angemeldet, manche Clips wurden fast eine Million Mal aufgerufen. Die Videos tragen oft geheimnisvoll anmutende Titel wie „Kopfschmerzen – DAS hat dir noch niemand verraten.“ Zahlreiche Videos zeigen Anleitungen für Übungen, die gegen Schmerzen helfen sollen. Diese kostenlosen Übungen sind sozusagen der Einstieg. Verschiedene deutschsprachige Tageszeitungen kritisierten bereits die fehlende wissenschaftliche Beweislage für die Thesen von Liebscher und Bracht. Auf ihre Kritiker reagieren sie auf ihrer Homepage mit dem Verweis, was man denn mit ein paar kostenlosen Übungen schon falsch machen könne. Tatsächlich sind die Übungen kostenlos, alles was damit verknüpft ist, ist kostenpflichtig. Im Online-Shop gibt es ein großes Angebot an Produkten: Verschiedene Faszienrollen – Übungshilfen aus Schaumstoff oder ähnlichen Materialien – die im Set 179,90 kosten und „Rückenretter“ heißen. Daneben können Interessierte auch Bücher, Filme und hochpreisige Nahrungsergänzungsmittel erwerben – am besten gleich im Abonnement. Ein weiterer Zweig des Geschäftsmodells ist eine Ausbildung in der Liebscher & Bracht – „Schmerztherapie“ für Physiotherapeuten, Heilpraktiker und Ärzte.

Für Liebscher und Bracht ist die Frage, wie Arthrose entsteht, schnell beantwortet:

Schmerzen und Arthrose entstehen durch die Nicht-Benutzung unseres Körpers, verstärkt durch schädigende Ernährung. Die Spannung der Muskeln und Faszien steigt. Knorpel und Bandscheiben werden überlastet, verschleißen und degenerieren. Die Faszien verfilzen.“

 Darüber hinaus entstünden die Schmerzen nicht durch den Verschleiß des Gelenkknorpels an sich, dies sei der „Jahrhundertirrtum“ der Medizin. Die wahre Ursache seien Verspannungen der Muskeln und Faszien, die das Gehirn dann registriere. Das Ergebnis dieser Gedankengänge ist dann eine Art Theoriegebäude, in dem nur Liebscher & Bracht-Übungen, sowie eine vegane und zuckerfreie Ernährung mit den Liebscher & Bracht-Nahrungsergänzungsmitteln die Heilung bringen. Dabei gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Tierprodukte und Zucker als einzelne Lebensmittelkomponenten Arthrose begünstigen.

„Wenn es um ihre Gesundheit geht, sind Menschen leicht zu verunsichern“, sagt Johannes Flechtenmacher. Der Orthopäde aus Karlsruhe und Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) behandelt täglich Patienten mit Arthrose und hat selten eine einfache Lösung mit garantierter Schmerzfreiheit anzubieten. Aus gutem Grund: Arthrose ist eine komplexe Krankheit und nicht auf eine simple Ursache zurückzuführen. „Da es keine eindeutigen Laborergebnisse gibt, ist eine Indikationsstellung, also die Frage, ob und welche Therapie sinnvoll sind, hier schwieriger als bei vielen anderen Krankheiten.“ Dies spiele Liebscher & Bracht in die Hände, fügt er hinzu.

Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung überhaupt, der wichtigste Risikofaktor ist das Alter: Je älter also eine Gesellschaft, desto häufiger kommt Arthrose vor. Häufig, aber nicht immer, macht sich die Krankheit ab einem gewissen Alter mit Schmerzen in Knie und Hüften, in den Händen oder anderen Wirbelgelenken bemerkbar.

Arthrose: Selten einfache Lösungen im Angebot

Begünstigt wird die Erkrankung durch Gelenkfehlstellungen, Übergewicht, alte Verletzungen und Bewegungsmangel, die über Jahre hinweg die schützenden Knorpelkappen der Gelenke schädigen. Auch eine gewisse genetisch bedingte Neigung zu Arthrosen ist eine von der Medizin benannte Ursache. „Arthrose ist wahrscheinlich keine einheitliche Krankheit, sondern die biologische Endstrecke verschiedener Entwicklungen und Verletzungen“, sagt Flechtenmacher. Aus diesem Grund bietet die Medizin verschiedene Behandlungsmethoden, manchmal auch eine Operation an – je nach Situation und Ausgangspunkt des Patienten. So können viele Patienten wieder schmerzfrei oder zumindest annähernd frei von Schmerz leben. Eine grundlegende Heilung des Gelenkknorpels kann jedoch kein seriöser Arzt in Aussicht stellen.

„Liebscher & Bracht hingegen bringen den Menschen eine simple Erklärung für ihre Schmerzen und eine Vision für ein schmerzfreies Leben in greifbarer Nähe – wer möchte das nicht?“ betont Johannes Flechtenmacher. Was diese Vision bei ihm bewirkte, berichtet Heinz Wessinghage: „Da meine Schmerzen ja laut Liebscher & Bracht durch die Übungen hätten besser werden müssen, hatte ich oft ein schlechtes Gewissen. Ich glaubte, ich sei selbst schuld, dass es mir nicht besser geht.“ Auch sein Physiotherapeut habe so argumentiert.

Liebscher und Bracht üben außerdem weitere Kritik an der schulmedizinischen Sicht auf Arthrose: Die beiden Autoren mutmaßen, dass am wissenschaftlich belegten Risikofaktor Übergewicht etwas nicht stimmen könne: „Die Arthrose der Sprunggelenke ist deutlich seltener als die der Hüft- und Kniegelenke. Auf die Sprunggelenke wirkt jedoch das meiste Gewicht ein, sie müssten also stärker gefährdet sein als Knie und Hüfte.“

Dabei lassen Liebscher & Bracht außer Acht, dass Übergewicht nicht nur als bloßes Gewicht auf die Gelenke drückt. Zusätzlich schütten bestimmte Fettzellen Botenstoffe aus, die Entzündungen im Körper und damit auch Arthrosen begünstigen. Wichtig ist also die Reduktion des Gewichts für Betroffene, nicht, dass sie auf tierische Produkte oder Zucker verzichten. Im Gegenteil: Radikaler Verzicht auf einzelne Lebensmittelgruppen birgt wiederum Gefahren für die Gesundheit.

Eigene Forschung zu Arthrose?

Belege für die Mutmaßungen und Behauptungen von Liebscher & Bracht gibt es keine. Zwar schreiben und sprechen sie immer wieder von „eigener Forschung“. Doch es ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit in einer anerkannten Publikation zu finden. Darüber hinaus ist Petra Bracht zwar Ärztin, Roland Liebscher-Bracht hingegen hat sein Maschinenbau-Studium nicht abgeschlossen.

Auf Anfrage von Medwatch weisen Liebscher und Bracht die Kritik von sich und schicken eine ganze Reihe Links zu Publikationen mit, die ihre Sichtweise untermauern sollen. So schreiben sie:

„Die von uns von Beginn an aufgezeigte Ursache für die Entstehung von Arthrose und Schmerzen, nämlich der nicht vollständig genutzte Gelenkwinkel, sowie die Widersprüche in der klassischen schulmedizinischen Sicht der Arthrose, die Arthrose nur beschreiben aber
nicht erklären kann, wurde schon vor Jahren wissenschaftlich bestätigt.”

Als Beleg führen Liebscher und Bracht eine Studie an, die allerdings gar keine ist, sondern nur die Hypothese eines einzelnen Autors aus dem Jahr 1994. „Diese Hypothese wurde in keiner einzigen Nachfolgearbeit bestätigt, sondern widerlegt“, erklärt Johannes Flechtenmacher. „Und dass eine zur Diskussion gestellte Hypothese keine zitierfähiges Studienergebnis darstellt, sollte wohl klar sein.“

Interessanterweise empfehlen Liebscher & Bracht in ihrem Buch außerdem Dinge als Neuheit, die längst Standard der normalen medizinischen Praxis sind. „Viele Aussagen kann man nicht bestreiten: Bewegung tut den Gelenken gut, die meisten Menschen bewegen sich zu wenig, Arthrose verursacht nicht zwingend Schmerzen und ein normales Gewicht hilft“, berichtet Orthopäde Flechtenmacher. „Doch das alles ist seit Jahren wissenschaftlicher Konsens und  kein neues Erklärungsmodell.“

Kritik: Qualitätspartner springt bei

Auch nennen Liebscher und Bracht Arbeiten des niederländischen Forschers Simon Mastbergen. Diese zeige, dass sich nicht nur der „Knorpelverschleiß stoppen lässt, wenn der Gelenkspalt aufgedehnt wird, sondern sich das Knorpelgewebe sogar regenerieren kann“ – was sie dabei nicht erwähnen: Mastbergen arbeitet zwar an Geweberegeneration bei Gelenkerkrankungen, insbesondere Arthrose. Nach eigenen Angaben sind aber „wichtige Höhepunkte unserer Arbeit die Entwicklung und Validierung eines einzigartigen Modells für Arthrose bei Hunden. (…) In jüngerer Zeit haben wir dieses Modell auf die Ratte ausgedehnt.“ Seine Arbeit unterstützt somit nicht direkt die Empfehlungen von Liebscher und Bracht. Er betreibt reine Grundlagenforschung, an Hunden und Ratten. Derartige Ergebnisse lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen.

Zudem untersuchte Mastbergen in den von Liebscher und Bracht zitierten Studien in Wahrheit einen operativen Ansatz: „Darüber hinaus war unsere Gruppe die erste, die Gelenkdistraktion bei der Behandlung schwerer Arthrose einsetzte. Mit dieser Operationstechnik konnten wir zeigen, dass eine intrinsische Knorpelreparatur möglich ist, die lange Zeit als unmöglich angesehen wurde.“

Interessanterweise antworten nicht nur Liebscher & Bracht auf die Anfrage von MedWatch. Auch der Unfallchirurg Egbert Ritter hat unaufgefordert einen langen Brief geschrieben, in dem er die Arbeit des Duos lobt, Liebscher und Bracht schicken diesen der Einfachheit halber direkt mit. Kein Wunder, Ritter ist auf der Webseite von Liebscher & Bracht auch als „Qualitätspartner“ und erfolgreicher Teilnehmer der Ausbildungsgänge ausgewiesen. Er berichtet in seinem Brief von seinen ausnehmend positiven Erfahrungen mit der Schmerztherapie von Liebscher & Bracht. Also habe er Kontakt mit der Universität Salzburg und Graz aufgenommen und 2019 eine Test-Studie begonnen: Bei zwanzig „schulmedizinisch aufgegebenen“ Patienten seien Knieschmerzen mit Dehnübungen stark reduziert worden. „Das Ergebnis war überwältigend und hat uns selbst überrascht“, schreibt Ritter. Zwar berichtete der ORF über diese laufende Studie an der Universität Salzburg 2019. Die Ergebnisse sind aber nirgendwo zu finden, offenbar wurden sie nicht publiziert. Eine valide wissenschaftliche Aussagekraft hätte die Studie aber ohnehin nicht – dafür sind zwanzig Patienten viel zu wenige.

Vitamine sind zu hoch dosiert

Liebscher & Bracht empfehlen in ihrem Liebscher & Bracht -Shop auch verschiedene Nahrungsergänzungsmittel wie „Vitamin D3“, „Q10+“ oder „Basen+“. „Basen+“ diene der aktiven Entsäuerung und bringe Harmonie in den Säure-Basen-Haushalt, so steht es auf der Webseite. Die Theorie von der basischen Ernährung, bei der die Säuren im Körper mit basischen Lebensmitteln wie Blumenkohl in Schach gehalten werden sollen, gibt es schon seit 1913. Bis heute fehlt für diese Lehre nicht nur ein Wirksamkeitsnachweis, es existiert noch nicht einmal ein halbwegs plausibler Mechanismus im Körper, mit dem sich solch eine Theorie erklären ließe. Der Körper reguliert das Säure-Basen-Verhältnis in Blut und Gewebe selbstständig.

Auf den fehlenden Wirksamkeitsnachweis der basischen Ernährung angesprochen, antwortet Roland Bracht: „Unsere Erfahrung ist eine ganz andere. Vor allem Schmerzpatienten reagieren hervorragend auf eine Frischkost-pflanzenbasierte Ernährung.“

Der Orthopäde Johannes Flechtenmacher ist kritisch: „Einseitige Erklärungen zu den Krankheitsursachen und simple Therapieansätze ohne individuelle Beratung greifen bei der Arthrose zu kurz. Wenn den Menschen dann auch noch Geld aus der Tasche gezogen wird, ist das sehr bedenklich.“

Tanja Wolf von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht bei den Nahrungsergänzungsmitteln sogar Verstöße gegen die gesetzliche Nahrungsergänzungsmittelverordnung und die Lebensmittelinformationsverordnung. Liebscher & Bracht bewerben die Nahrungsergänzungsmitteln unter anderem mit folgender Passage:

“Für die optimale Versorgung mit Mikronährstoffen reicht der bloße Genuss von Obst und Gemüse heute aber nicht mehr aus. Längst macht sich die landwirtschaftliche Verwendung von Pestiziden in der abnehmenden Qualität der Lebensmittel bemerkbar: Waren Obst und Gemüse einst wertvolle Mikronährstoff-Quellen, zeigt sich heute, dass der Gehalt der wertvollen Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe immer weiter sinkt. Dieser Rückgang an natürlichen Mikronährstoffen im Obst und Gemüse ist fatal. (…)“

Die Nahrungsmittelergänzungsmittelverordnung verbietet die nachweislich falsche Behauptung und Unterstellung, dass bei einer ausgewogenen Ernährung die Zufuhr angemessener Nährstoffmengen nicht möglich sei.

Als wäre das nicht genug, könnte die Einnahme der Mittel möglicherweise sogar schädlich sein. Sie sind teilweise zu hoch dosiert: „Bei den Bestandteilen von „Basen+“ scheint teilweise die empfohlene Höchstmenge überschritten zu werden. Diese beträgt zum Beispiel für Kalium 500 Milligramm. Das Präparat enthält jedoch 540 Milligramm“, sagt die Expertin für Verbraucherschutz im digitalen Gesundheitsmarkt Tanja Wolf.

Heinz Wessinghage hat einmal viel Geld ausgegeben für Hilfsmittel und Nahrungsergänzungsmittel von Liebscher & Bracht. Zusätzlich haben die Theorien und Empfehlungen ihn sogar dazu gebracht, die helfende Operation lange hinauszuschieben. Er hat eine persönliche, wenngleich natürlich nicht für jeden passende Empfehlung: „Wenn mehrere Ärzte ein künstliches Hüftgelenk empfehlen, machen Sie es. Meine Arthrose war viel schmerzhafter als die Operation.“ Sein Gehstock liegt schon lange wieder im Keller.

Judith Blage
Wissenschaftsjournalistin

 

Diclofenac und Ibuprofen könnten Risiko für Herzstillstand erhöhen

Kopenhagen – Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen und Diclofenac zählen zu den am meisten verordneten Arzneimitteln in Deutschland.* Auch zur Behandlung von Arthroseschmerzen werden sie häufig eingesetzt. Ein dänisches Forscherteam hat nun festgestellt, dass die Einnahme von Ibuprofen und Diclofenac das Risiko für einen Herzstillstand deutlich erhöhen könnte.

Dass der Einsatz von NSAR mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergeht, sei bereits in verschiedenen Studien gezeigt worden, so die Forscher vom Kopenhagener Universitätsklinikum in Gentofte. In ihrer Studie untersuchten sie nun, ob ein Zusammenhang zwischen einem Herzstillstand und der Einnahme von NSAR besteht.

Ibuprofen und Diclofenac am häufigsten eingesetzt

Dafür bezogen die Wissenschaftler die Daten aller dänischen Patienten ein, bei denen zwischen 2001 und 2010 das Herz aussetzte. Von diesen knapp 29.000 Patienten waren 3.376 in den 30 Tagen vor dem Herzstillstand mit NSAR behandelt worden. Am häufigsten kamen dabei Ibuprofen (bei 51 Prozent der Patienten) und Diclofenac (bei 21,8 Prozent der Patienten) zum Einsatz.

Herzstillstand-Risiko deutlich erhöht

Die Analyse der Forscher zeigte, dass das Risiko für einen Herzstillstand nach der Einnahme dieser beiden Schmerzmittel deutlich erhöht war: Bei Patienten, die zuvor Diclofenac eingenommen hatten, war das Risiko 50 Prozent höher als bei Patienten, die vor dem Herzstillstand kein Schmerzmittel erhalten hatten. Bei Ibuprofen stieg es um 31 Prozent. Die Einnahme weiterer NSAR wie Naproxen, Rofecoxib oder Celecoxib – letzteres wurde aufgrund erhöhter Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vom Markt genommen – stand dagegen nicht mit einem höheren Herzstillstand-Risiko in Zusammenhang.

Zwar könne anhand dieser Daten noch nicht definitiv auf einen kausalen Zusammenhang geschlossen werden, so die Forscher. Die Studienergebnisse zeigten allerdings erneut, dass beim Einsatz von NSAR – und insbesondere Ibuprofen und Diclofenac – mit Blick auf die bestehenden kardiovaskulären Risiken Vorsicht geboten sei.

Implikationen für die medikamentöse Arthrose-Therapie

Dazu rät auch der BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher im Rahmen des BVOU Study Club-Webinars „Medikamentöse Therapie der Gonarthrose: Spagat zwischen Empirie und Evidenz“. Eines der Themen des Online-Kurses ist die medikamentöse Behandlung von Arthrose-Patienten bei bestehenden Komorbiditäten. Gerade bei Patienten mit kardiovaskulären Komorbiditäten, von denen etwa zwei Drittel der Patienten in der orthopädischen Praxis betroffen seien, sei eine erhöhte Vorsicht beim Einsatz von NSAR angebracht, erklärt Flechtenmacher.

Das Webinar ist im Archiv des BVOU Study Club einsehbar. Nach Absolvieren des Online-Video-Kurses und eines anschließenden Multiple-Choice-Tests können Teilnehmer bis zu drei CME-Punkte erwerben.

Fußnote:
* Laut der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/Bekanntgaben/Archiv/2013/20130722.html)