Schlagwort-Archive: Unfallchirurgie

Infobrief 3 2021: Die kindliche Wirbelsäule

Berlin – Der Infobrief 3 2021 mit dem Titelthema „die kindliche Wirbelsäule“ ist erschienen!

Kinderorthopädie verlangt eine hohe Sachkunde. Nur wer die kindliche Entwicklung versteht, versteht auch das muskulo-skelettale System der Erwachsenen. Die behandlungsbedürftigen Erkrankungen der Kinder müssen rechtzeitig erkannt und sicher von den Störungen unterscheiden werden, bei denen nur beratend eingegriffen werden muss. In der derzeitigen Weiterbildung ist die Kinderorthopädie nur unzureichend abgebildet. 

Die Zeitschrift informiert BVOU-Mitglieder wie immer auch über Themen aus Verbandsarbeit, Berufspolitik und O&U. 

Den Infobrief erhalten BVOU-Mitglieder in diesen Tagen zugeschickt. Lesen Sie hier das Heft online.

Infobrief 2 2021: Regenerative Medizin in O&U

Berlin – Der Infobrief 2 2021 ist erschienen! Dieser Infobrief informiert Sie über die Fortschritte der regenerativen Medizin in der Orthopädie. Die Beiträge zeigen, dass wir gerade eine zunehmende Biologisierung der Therapien erleben. Dieser Trend ist die radikalste Antwort auf die enormen Herausforderungen durch die vielen altersbedingten muskuloskeletalen Erkrankungen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Wir helfen unseren Patientinnen und Patienten am besten, wenn wir ihre Knorpelschäden frühzeitig reparieren oder durch kluge Prävention dafür sorgen, dass erst gar keine Knorpelschäden auftreten. Eine kurative und präventive Medizin ist immer besser als eine rein symptombezogene Medizin. Beides ist allerdings nicht so einfach. Die Zeitschrift informiert BVOU-Mitglieder wie immer auch über Themen aus Verbandsarbeit, Berufspolitik und O&U. 

Den Infobrief erhalten BVOU-Mitglieder in diesen Tagen zugeschickt. Lesen Sie hier das Heft online.

Das Versprechen von der Heilung ohne Operation

Berlin – Das Autoren-Duo Liebscher & Bracht haben angeblich einen „Jahrhundertirrtum der Medizin“ aufgedeckt und bieten im Internet teure Hilfsmittel gegen Arthrose an. Das Problem: Irreführende Aussagen schüren Misstrauen in die Medizin, die Verantwortung für ihre Genesung wird subtil auf die Patienten geschoben.

„Mich hat das Versprechen begeistert, um eine Operation herumzukommen“, sagt Heinz Wessinghage. Der 83-Jährige kämpfte jahrelang mit Tipps, Übungen und speziellen Physiotherapien von Liebscher & Bracht gegen seine Beschwerden an. Jahre des Schmerzes, die hätten vermieden werden können – wie Wessinghage heute weiß.

Der 83-Jährige war sein ganzes Leben sportlich. Noch vor drei Jahren ging er regelmäßig Laufen. Doch dann ging es ihm ähnlich wie etwa einem Drittel der Männer und knapp der Hälfte der Frauen über 65 Jahre in Deutschland – er bekam Arthrose. „Ich hatte Schmerzen in der Hüfte. Zunächst nur gelegentlich, dann immer häufiger und später waren sie so schlimm, dass ich nicht mehr schlafen konnte.“ Der ehemalige Zeitungredakteur für Sport konnte nur noch mit Stock gehen, an Joggen oder nur Spaziergänge war nicht mehr zu denken. Ärzte rieten ihm zu einer Hüft-Prothese. „Aber ich war misstrauisch. Man hört und liest so viel über unangebrachte Operationen.“ Er stieß im Internet auf die Webseite von Liebscher & Bracht und war angetan. „Die Bücher und die Tipps sagten mir, dass ich das Problem mit Übungen, Nahrungsergänzungsmitteln und Physiotherapie selbst in den Griff bekomme.“ Ein Physiotherapeut, der nach Liebscher &Bracht arbeitet, beschied ihm, er brauche keine Hüft-Operation. „Ich vertraute dem Therapeuten. Nach jeder Sitzung war ich optimistisch und fühlte mich besser – allerdings hielt dieser Effekt immer nur wenige Stunden an.“

Als es Wessinghage dann im vergangenen Jahr immer schlechter ging und verschiedene andere Erkrankungen hinzukamen, ließ er sich doch eine Hüftprothese in einer Klinik einsetzen – mit durchschlagendem Erfolg. „Es war unglaublich, nach einer Woche war ich schmerzfrei. Ich hätte mir Vieles erspart, wenn ich mich gleich hätte operieren lassen.“

Skandal suggeriert: Gibt es die Arthrose-Lüge?

Davon abgehalten haben ihn die Methoden und Theorien von Liebscher & Bracht. „Die Arthrose-Lüge“ heißt das Buch von Roland Liebscher-Bracht und der Ärztin Petra Bracht. Der Titel suggeriert einen Skandal: Werden wir über die wahren Ursachen der Arthrose belogen? Beruhen gängige Therapien auf einer absichtlichen Täuschung der Medizinindustrie?

Nach Liebscher & Bracht gibt es tatsächlich zwei Realitäten zur Behandlung von Arthrose und Schmerzen. Die „herkömmliche Sichtweise“ der Medizin und diejenige des Autoren-Duos.

Ihre Sichtweise verkünden Roland Liebscher-Bracht und seine Frau nicht nur in Büchern, sondern auch auf ihrem Youtube-Kanal, der enorm erfolgreich ist: Mehr als 1,21 Millionen Abonnenten sind angemeldet, manche Clips wurden fast eine Million Mal aufgerufen. Die Videos tragen oft geheimnisvoll anmutende Titel wie „Kopfschmerzen – DAS hat dir noch niemand verraten.“ Zahlreiche Videos zeigen Anleitungen für Übungen, die gegen Schmerzen helfen sollen. Diese kostenlosen Übungen sind sozusagen der Einstieg. Verschiedene deutschsprachige Tageszeitungen kritisierten bereits die fehlende wissenschaftliche Beweislage für die Thesen von Liebscher und Bracht. Auf ihre Kritiker reagieren sie auf ihrer Homepage mit dem Verweis, was man denn mit ein paar kostenlosen Übungen schon falsch machen könne. Tatsächlich sind die Übungen kostenlos, alles was damit verknüpft ist, ist kostenpflichtig. Im Online-Shop gibt es ein großes Angebot an Produkten: Verschiedene Faszienrollen – Übungshilfen aus Schaumstoff oder ähnlichen Materialien – die im Set 179,90 kosten und „Rückenretter“ heißen. Daneben können Interessierte auch Bücher, Filme und hochpreisige Nahrungsergänzungsmittel erwerben – am besten gleich im Abonnement. Ein weiterer Zweig des Geschäftsmodells ist eine Ausbildung in der Liebscher & Bracht – „Schmerztherapie“ für Physiotherapeuten, Heilpraktiker und Ärzte.

Für Liebscher und Bracht ist die Frage, wie Arthrose entsteht, schnell beantwortet:

Schmerzen und Arthrose entstehen durch die Nicht-Benutzung unseres Körpers, verstärkt durch schädigende Ernährung. Die Spannung der Muskeln und Faszien steigt. Knorpel und Bandscheiben werden überlastet, verschleißen und degenerieren. Die Faszien verfilzen.“

 Darüber hinaus entstünden die Schmerzen nicht durch den Verschleiß des Gelenkknorpels an sich, dies sei der „Jahrhundertirrtum“ der Medizin. Die wahre Ursache seien Verspannungen der Muskeln und Faszien, die das Gehirn dann registriere. Das Ergebnis dieser Gedankengänge ist dann eine Art Theoriegebäude, in dem nur Liebscher & Bracht-Übungen, sowie eine vegane und zuckerfreie Ernährung mit den Liebscher & Bracht-Nahrungsergänzungsmitteln die Heilung bringen. Dabei gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Tierprodukte und Zucker als einzelne Lebensmittelkomponenten Arthrose begünstigen.

„Wenn es um ihre Gesundheit geht, sind Menschen leicht zu verunsichern“, sagt Johannes Flechtenmacher. Der Orthopäde aus Karlsruhe und Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) behandelt täglich Patienten mit Arthrose und hat selten eine einfache Lösung mit garantierter Schmerzfreiheit anzubieten. Aus gutem Grund: Arthrose ist eine komplexe Krankheit und nicht auf eine simple Ursache zurückzuführen. „Da es keine eindeutigen Laborergebnisse gibt, ist eine Indikationsstellung, also die Frage, ob und welche Therapie sinnvoll sind, hier schwieriger als bei vielen anderen Krankheiten.“ Dies spiele Liebscher & Bracht in die Hände, fügt er hinzu.

Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung überhaupt, der wichtigste Risikofaktor ist das Alter: Je älter also eine Gesellschaft, desto häufiger kommt Arthrose vor. Häufig, aber nicht immer, macht sich die Krankheit ab einem gewissen Alter mit Schmerzen in Knie und Hüften, in den Händen oder anderen Wirbelgelenken bemerkbar.

Arthrose: Selten einfache Lösungen im Angebot

Begünstigt wird die Erkrankung durch Gelenkfehlstellungen, Übergewicht, alte Verletzungen und Bewegungsmangel, die über Jahre hinweg die schützenden Knorpelkappen der Gelenke schädigen. Auch eine gewisse genetisch bedingte Neigung zu Arthrosen ist eine von der Medizin benannte Ursache. „Arthrose ist wahrscheinlich keine einheitliche Krankheit, sondern die biologische Endstrecke verschiedener Entwicklungen und Verletzungen“, sagt Flechtenmacher. Aus diesem Grund bietet die Medizin verschiedene Behandlungsmethoden, manchmal auch eine Operation an – je nach Situation und Ausgangspunkt des Patienten. So können viele Patienten wieder schmerzfrei oder zumindest annähernd frei von Schmerz leben. Eine grundlegende Heilung des Gelenkknorpels kann jedoch kein seriöser Arzt in Aussicht stellen.

„Liebscher & Bracht hingegen bringen den Menschen eine simple Erklärung für ihre Schmerzen und eine Vision für ein schmerzfreies Leben in greifbarer Nähe – wer möchte das nicht?“ betont Johannes Flechtenmacher. Was diese Vision bei ihm bewirkte, berichtet Heinz Wessinghage: „Da meine Schmerzen ja laut Liebscher & Bracht durch die Übungen hätten besser werden müssen, hatte ich oft ein schlechtes Gewissen. Ich glaubte, ich sei selbst schuld, dass es mir nicht besser geht.“ Auch sein Physiotherapeut habe so argumentiert.

Liebscher und Bracht üben außerdem weitere Kritik an der schulmedizinischen Sicht auf Arthrose: Die beiden Autoren mutmaßen, dass am wissenschaftlich belegten Risikofaktor Übergewicht etwas nicht stimmen könne: „Die Arthrose der Sprunggelenke ist deutlich seltener als die der Hüft- und Kniegelenke. Auf die Sprunggelenke wirkt jedoch das meiste Gewicht ein, sie müssten also stärker gefährdet sein als Knie und Hüfte.“

Dabei lassen Liebscher & Bracht außer Acht, dass Übergewicht nicht nur als bloßes Gewicht auf die Gelenke drückt. Zusätzlich schütten bestimmte Fettzellen Botenstoffe aus, die Entzündungen im Körper und damit auch Arthrosen begünstigen. Wichtig ist also die Reduktion des Gewichts für Betroffene, nicht, dass sie auf tierische Produkte oder Zucker verzichten. Im Gegenteil: Radikaler Verzicht auf einzelne Lebensmittelgruppen birgt wiederum Gefahren für die Gesundheit.

Eigene Forschung zu Arthrose?

Belege für die Mutmaßungen und Behauptungen von Liebscher & Bracht gibt es keine. Zwar schreiben und sprechen sie immer wieder von „eigener Forschung“. Doch es ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit in einer anerkannten Publikation zu finden. Darüber hinaus ist Petra Bracht zwar Ärztin, Roland Liebscher-Bracht hingegen hat sein Maschinenbau-Studium nicht abgeschlossen.

Auf Anfrage von Medwatch weisen Liebscher und Bracht die Kritik von sich und schicken eine ganze Reihe Links zu Publikationen mit, die ihre Sichtweise untermauern sollen. So schreiben sie:

„Die von uns von Beginn an aufgezeigte Ursache für die Entstehung von Arthrose und Schmerzen, nämlich der nicht vollständig genutzte Gelenkwinkel, sowie die Widersprüche in der klassischen schulmedizinischen Sicht der Arthrose, die Arthrose nur beschreiben aber
nicht erklären kann, wurde schon vor Jahren wissenschaftlich bestätigt.”

Als Beleg führen Liebscher und Bracht eine Studie an, die allerdings gar keine ist, sondern nur die Hypothese eines einzelnen Autors aus dem Jahr 1994. „Diese Hypothese wurde in keiner einzigen Nachfolgearbeit bestätigt, sondern widerlegt“, erklärt Johannes Flechtenmacher. „Und dass eine zur Diskussion gestellte Hypothese keine zitierfähiges Studienergebnis darstellt, sollte wohl klar sein.“

Interessanterweise empfehlen Liebscher & Bracht in ihrem Buch außerdem Dinge als Neuheit, die längst Standard der normalen medizinischen Praxis sind. „Viele Aussagen kann man nicht bestreiten: Bewegung tut den Gelenken gut, die meisten Menschen bewegen sich zu wenig, Arthrose verursacht nicht zwingend Schmerzen und ein normales Gewicht hilft“, berichtet Orthopäde Flechtenmacher. „Doch das alles ist seit Jahren wissenschaftlicher Konsens und  kein neues Erklärungsmodell.“

Kritik: Qualitätspartner springt bei

Auch nennen Liebscher und Bracht Arbeiten des niederländischen Forschers Simon Mastbergen. Diese zeige, dass sich nicht nur der „Knorpelverschleiß stoppen lässt, wenn der Gelenkspalt aufgedehnt wird, sondern sich das Knorpelgewebe sogar regenerieren kann“ – was sie dabei nicht erwähnen: Mastbergen arbeitet zwar an Geweberegeneration bei Gelenkerkrankungen, insbesondere Arthrose. Nach eigenen Angaben sind aber „wichtige Höhepunkte unserer Arbeit die Entwicklung und Validierung eines einzigartigen Modells für Arthrose bei Hunden. (…) In jüngerer Zeit haben wir dieses Modell auf die Ratte ausgedehnt.“ Seine Arbeit unterstützt somit nicht direkt die Empfehlungen von Liebscher und Bracht. Er betreibt reine Grundlagenforschung, an Hunden und Ratten. Derartige Ergebnisse lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen.

Zudem untersuchte Mastbergen in den von Liebscher und Bracht zitierten Studien in Wahrheit einen operativen Ansatz: „Darüber hinaus war unsere Gruppe die erste, die Gelenkdistraktion bei der Behandlung schwerer Arthrose einsetzte. Mit dieser Operationstechnik konnten wir zeigen, dass eine intrinsische Knorpelreparatur möglich ist, die lange Zeit als unmöglich angesehen wurde.“

Interessanterweise antworten nicht nur Liebscher & Bracht auf die Anfrage von MedWatch. Auch der Unfallchirurg Egbert Ritter hat unaufgefordert einen langen Brief geschrieben, in dem er die Arbeit des Duos lobt, Liebscher und Bracht schicken diesen der Einfachheit halber direkt mit. Kein Wunder, Ritter ist auf der Webseite von Liebscher & Bracht auch als „Qualitätspartner“ und erfolgreicher Teilnehmer der Ausbildungsgänge ausgewiesen. Er berichtet in seinem Brief von seinen ausnehmend positiven Erfahrungen mit der Schmerztherapie von Liebscher & Bracht. Also habe er Kontakt mit der Universität Salzburg und Graz aufgenommen und 2019 eine Test-Studie begonnen: Bei zwanzig „schulmedizinisch aufgegebenen“ Patienten seien Knieschmerzen mit Dehnübungen stark reduziert worden. „Das Ergebnis war überwältigend und hat uns selbst überrascht“, schreibt Ritter. Zwar berichtete der ORF über diese laufende Studie an der Universität Salzburg 2019. Die Ergebnisse sind aber nirgendwo zu finden, offenbar wurden sie nicht publiziert. Eine valide wissenschaftliche Aussagekraft hätte die Studie aber ohnehin nicht – dafür sind zwanzig Patienten viel zu wenige.

Vitamine sind zu hoch dosiert

Liebscher & Bracht empfehlen in ihrem Liebscher & Bracht -Shop auch verschiedene Nahrungsergänzungsmittel wie „Vitamin D3“, „Q10+“ oder „Basen+“. „Basen+“ diene der aktiven Entsäuerung und bringe Harmonie in den Säure-Basen-Haushalt, so steht es auf der Webseite. Die Theorie von der basischen Ernährung, bei der die Säuren im Körper mit basischen Lebensmitteln wie Blumenkohl in Schach gehalten werden sollen, gibt es schon seit 1913. Bis heute fehlt für diese Lehre nicht nur ein Wirksamkeitsnachweis, es existiert noch nicht einmal ein halbwegs plausibler Mechanismus im Körper, mit dem sich solch eine Theorie erklären ließe. Der Körper reguliert das Säure-Basen-Verhältnis in Blut und Gewebe selbstständig.

Auf den fehlenden Wirksamkeitsnachweis der basischen Ernährung angesprochen, antwortet Roland Bracht: „Unsere Erfahrung ist eine ganz andere. Vor allem Schmerzpatienten reagieren hervorragend auf eine Frischkost-pflanzenbasierte Ernährung.“

Der Orthopäde Johannes Flechtenmacher ist kritisch: „Einseitige Erklärungen zu den Krankheitsursachen und simple Therapieansätze ohne individuelle Beratung greifen bei der Arthrose zu kurz. Wenn den Menschen dann auch noch Geld aus der Tasche gezogen wird, ist das sehr bedenklich.“

Tanja Wolf von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht bei den Nahrungsergänzungsmitteln sogar Verstöße gegen die gesetzliche Nahrungsergänzungsmittelverordnung und die Lebensmittelinformationsverordnung. Liebscher & Bracht bewerben die Nahrungsergänzungsmitteln unter anderem mit folgender Passage:

“Für die optimale Versorgung mit Mikronährstoffen reicht der bloße Genuss von Obst und Gemüse heute aber nicht mehr aus. Längst macht sich die landwirtschaftliche Verwendung von Pestiziden in der abnehmenden Qualität der Lebensmittel bemerkbar: Waren Obst und Gemüse einst wertvolle Mikronährstoff-Quellen, zeigt sich heute, dass der Gehalt der wertvollen Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe immer weiter sinkt. Dieser Rückgang an natürlichen Mikronährstoffen im Obst und Gemüse ist fatal. (…)“

Die Nahrungsmittelergänzungsmittelverordnung verbietet die nachweislich falsche Behauptung und Unterstellung, dass bei einer ausgewogenen Ernährung die Zufuhr angemessener Nährstoffmengen nicht möglich sei.

Als wäre das nicht genug, könnte die Einnahme der Mittel möglicherweise sogar schädlich sein. Sie sind teilweise zu hoch dosiert: „Bei den Bestandteilen von „Basen+“ scheint teilweise die empfohlene Höchstmenge überschritten zu werden. Diese beträgt zum Beispiel für Kalium 500 Milligramm. Das Präparat enthält jedoch 540 Milligramm“, sagt die Expertin für Verbraucherschutz im digitalen Gesundheitsmarkt Tanja Wolf.

Heinz Wessinghage hat einmal viel Geld ausgegeben für Hilfsmittel und Nahrungsergänzungsmittel von Liebscher & Bracht. Zusätzlich haben die Theorien und Empfehlungen ihn sogar dazu gebracht, die helfende Operation lange hinauszuschieben. Er hat eine persönliche, wenngleich natürlich nicht für jeden passende Empfehlung: „Wenn mehrere Ärzte ein künstliches Hüftgelenk empfehlen, machen Sie es. Meine Arthrose war viel schmerzhafter als die Operation.“ Sein Gehstock liegt schon lange wieder im Keller.

Judith Blage
Wissenschaftsjournalistin

 

Berufsverband erinnert an Gründung vor 70 Jahren

Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) e.V. wurde auf der Insel Reichenau ein Baum gepflanzt, um unter Bezug auf das Berufssymbol der Orthopäden und Unfallchirurgen eine nachhaltige Würdigung an das Verbandsjubiläum zu schaffen.

Der BVOU ist heute ein festes Standbein in der berufspolitischen Interessensvertretung für mehr als 7.000 in Klinik und Praxis tätiger Orthopäden und Unfallchirurgen. Er richtet unter anderem Europas größten Fachkongress aus. Der BVOU setzt die beruflichen Interessen seiner Mitglieder durch, indem er zum Vorteil der Patienten und des Gemeinwohls, den Standard orthopädisch-unfallchirurgischer Versorgung entwickelt.

Anlässlich des Gründungstages am 29. April 1951 pflanzten die Anwesenden, Dr. Wolfgang Zoll (Bürgermeister Reichenau), Dr. Johannes Flechtenmacher (BVOU-Präsident und Orthopäde) und Dr. Jörg Mutschler (Sohn des damaligen Gründungsmitglieds und Orthopäde), am Sonntag eine Schwarzpappel auf der Bodenseeinsel Reichenau.

In seiner Ansprache erinnerte Dr. Flechtenmacher an die Geschichte des Orthopädie-Bäumchens, dessen Stamm die fehlgeformte Wirbelsäule eines Kindes und der Stab ein Korsett darstellt. Begriff und Abbildung gehen auf den Pariser Kinderarzt Nicolas Andry (1658 – 1742) zurück, der mit seinem 1741 geschaffenen Werk „L’orthopédie ou l’art de prévenir ou corriger dans les enfants les difformités du corps“ (Orthopädie oder die Kunst, Körpermissbildungen bei Kindern zu verhüten und zu korrigieren), den Begriff Orthopädie erstmals prägte. Er setzt sich aus den griechischen Wörtern Orthos (gerade) und Pädion (Kind) zusammen. Am gepflanzten Baum erinnert eine Hinweistafel an diesen Zusammenhang.

Dr. Wolfang Zoll, studierter Theologe und seit 2019 Bürgermeister Reichenaus, freute sich über die Baumspende. Dr. Jörg Mutschler erläuterte, wie er als Kind die Verbandsgründung erlebte, zu der sein Vater, Dr. Hans-Heinz Mutschler (Konstanz) und Dr. Walter Baumann (Stuttgart), zuerst 1949 nach Konstanz eingeladen hatten. Nach weiteren Treffen kam es am 29. April 1951 zum Beschluss der Doppelgründung des Wirtschaftsrings Deutscher Orthopäden als BVOU-Vorgänger und der Vereinigung Südwestdeutscher Orthopäden. Die Gründungsversammlung fand im Strandhotel Löchnerhaus statt.

Pressekontakt:

Janosch Kuno
Kommunikation und Pressearbeit
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.)
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 797 444 55
E-Mail: presse@bvou.net
www.bvou.net

Buchbesprechung „Der Stannard“

Frankfurt -„Der Stannard“ in der 2. Auflage in Deutsch ist ein exzeptionelles Standardwerk, das den aktuellen Sachstand der modernen Unfallchirurgie umfänglich abbildet. Es wurde nun in der Neuauflage um ein alterstraumatologisches Kapitel – Frakturen bei geriatrischen Patienten –  ergänzt. Alle Kapitel wurden aus dem Englischen von namhaften deutschen Unfallchirurgen als Mitherausgeber übersetzt und dort ergänzt, wo es gemäß der deutschen Versorgungsrealität erforderlich erschien. Die Texte sind teilweise sehr ausführlich. Sie bieten damit aber nicht nur Anfängern wichtige Grundlagen sondern auch Spezialisten wertvolle Tipps und Tricks. OP-Planung, OP-Lagerung und chirurgische Zugangswege werden gut und verständlich dargestellt. Die Abbildungen sind entsprechend instruktiv, was insbesondere Klassifikationen und chirurgische Zugangswege betrifft. Zur schnellen Orientierung dienen die hervorgehobenen „Merk- und Fazitboxen“. Für die Notfall- und Basisversorgung im Bereitschaftsdienst helfen die übersichtlichen und neuen „Surviving the Night“-Boxen. Darstellungen der Komplikationsmöglichkeiten und der zu erwartenden Ergebnisse gemäß der aktuell verfügbaren Literatur runden die Kapitel ab.

Insgesamt ist „Der Stannard“ damit das aktuelle, deutschsprachig-unfallchirurgische Standardwerk für die Praxis und zur Prüfungsvorbereitungen. Das Buch ist zudem über eref.thieme erreichbar und „fair bepreist“. – Mehr braucht man – eigentlich – nicht…

Prof. Dr.Dr. R. Hoffmann
Frankfurt am Main
April 2021

 

 

Geboren am 29.4.1951: Ein Zufall kommt selten allein

Berlin/Duisburg/Remscheid – Der 29. April ist nicht nur für den Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie ein besonderer Tag: Gleich zwei seiner Mitglieder feiern an diesem Tag – ebenso wie der BVOU selbst – ihren 70-jährigen Geburtstag. Dr. Johannes Heusgen (Duisburg) und Dr. Stephan Sievers (Remscheid) werfen einen Rückblick auf ihr vergangenes Berufsleben und geben jüngeren Generationen Hinweise an die Hand, warum sich man sich heutzutage für O und U entscheiden sollte.

Herr Dr. Heusgen, Herr Dr. Sievers, können Sie in Zeiten von Corona und Kontaktbeschränkungen überhaupt Pläne machen und wenn ja, welche haben Sie, Ihren Geburtstag am 29.4. zu feiern?
Dr. Stephan Sievers: Sollte es trotz der anhaltenden Kontaktbeschränkungen möglich sein, werden wir den 70. Geburtstag im engen Familien- und Freundeskreis feiern.

Dr. Johannes Heusgen: Ursprünglich wollte ich den Tag gemeinsam mit Freunden und meiner Familie zuhause feiern. Unter den geltenden Corona-Bedingungen erscheint das wenig sinnvoll. So habe ich mich entschlossen, mit meiner Frau ein paar Tage auf einer nordfriesischen Insel zu verbringen. Im Frühsommer habe ich für uns ein großes Ferienhaus auf einer griechischen Insel gemietet. Dort soll dann mit der Familie nachgefeiert werden.

Warum sind sie damals dem BVOU beigetreten?
Dr. Heusgen: Zum Zeitpunkt der Niederlassungsplanung wurde mir von den Fachkollegen der Eintritt in den Berufsverband ans Herz gelegt. Ich habe immer wieder an orthopädischen Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen und auch von der Rechtsberatung, der Haftpflichtversicherung und den Einkaufsvorteilen profitiert. Sinnvoll und wertvoll waren die regelmäßigen Orthopäden-Treffen auf lokaler Ebene. Dort wurden Abrechnungsfragen diskutiert und Verhaltensstrategien im Umgang mit der KV entwickelt. Wichtig erschien mir auch der persönliche Kontakt mit den Fachkollegen.

Dr. Sievers: 1989 gründete ich zusammen mit einem Kollegen eine orthopädische Gemeinschaftspraxis mit Möglichkeiten zur ambulanten OP. Ich trat dem Verband bei, um mit Fachkollegen zwecks Erfahrungsaustausches in Kontakt zu kommen, zu diesen damals innovativen Ärztekooperationen. Ich benötigte fachkompetenten Rat bei Fragen der Niederlassung.

Wie kamen Sie damals zur Medizin und speziell zur Orthopädie?
Dr.  Heusgen: Ursprünglich hätten es meine Eltern gerne gesehen, wenn ich in deren Fußstapfen getreten wäre und ihre Apotheke übernommen hätte. Aber ich konnte mich nicht mit der Vorstellung anfreunden, hinter einer Theke zu stehen, um Medikamente zu verkaufen. Auch ein Musikstudium als Fagottist stand vorübergehend zur Debatte. Mein Vorbild war unser damaliger Hausarzt und rückblickend das Fach Anatomie in der Vorklinik richtungsgebend. In Graz war dieses Fach der Hauptschwerpunkt in der Vorklinik. In den Wintersemesterferien famulierte ich in einem Krankenhaus in Vorarlberg. Neben der Möglichkeit des Skifahrens, faszinierte mich die Versorgung von Skiunfällen und die Gipstechnik der Österreicher. Nach dem Studium stand für mich fest, Unfallchirurg oder Orthopäde zu werden, da ich die Möglichkeit sah, durch Operationen am Bewegungsapparat schnell und wirkungsvoll auf den Heilungsverlauf einwirken zu können.

Dr. Sievers:  Während meiner Bundeswehrzeit im Jahre 1971 absolvierte ich ein Praktikum in einem Krankenhaus in Lippstadt. Seither stand für mich der Entschluss fest, Medizin zu studieren. Meine Vorliebe für die Orthopädie und Sporttraumatologie entwickelte sich erst während meiner unfallchirurgischen Assistenzzeit im Klinikum Leverkusen.

Was unterscheidet Orthopäden und Unfallchirurgen in der heutigen Zeit von Ihrer Generation?
Dr. Sievers:  Der Unterschied ist geprägt von der Verschmelzung der beiden Fachrichtungen und der rasanten Weiterentwicklung in der Arthroskopie, den minimalinvasiven Operationsverfahren und der Endoprothetik. Dies führte zu einer fortschreitenden Spezialisierung der einzelnen Fachbereiche, so dass sich die jungen Kollegen bereits während ihrer Facharztausbildung spezialisieren. Der heutige Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist vorwiegend operativ ausgebildet und meist an der Klinik tätig. Die jungen Ärzte haben meiner Meinung nach heute durch die gesetzlichen und tariflichen Verbesserungen, wie Arbeitszeitbegrenzung, Nachtdienst-, Überstunden-, Freizeitausgleich einen wesentlich angenehmeren Arbeitsalltag. Die Facharztausbildung in einer orthopädischen Klinik meiner Generation umfasste ein größeres Spektrum von konservativen und operativen Therapiemaßnahmen, von der Kinderorthopädie, Wirbelsäulenchirurgie bis hin zu den orthopädisch-sporttraumatologischen Eingriffen am gesamten Bewegungsapparat, einschließlich Hand- und Fußchirurgie und der Endoprothetik. Schon damals gab es Schwerpunkte in der Klinikversorgung, aber jedoch nicht die vielfältige Spezialisierung, die heute das Fach prägt. Niederlassung in meiner Generation bedeutete in der Regel reine konservative Therapie. Bei einer heutigen Niederlassung bestehen zahlreiche Möglichkeiten, auch weiterhin zu operieren.

Dr.  Heusgen: Vor 40 Jahren waren wir diagnostisch viel mehr auf genaue klinische Untersuchungen und Beobachtungen angewiesen. Zu dieser Zeit war das „konventionelle“ Röntgen weitgehend noch bei den orthopädischen Abteilungen angegliedert. Jeder Assistent lernte, eigenständig Myelographien und Arthrographien vorzunehmen. Plötzlich gab es Computertomografie (CT) und Magnetresonanztherapie (MRT). Manche Kliniken betrieben sogar eine eigene orthopädische Schuhwerkstatt! In der Therapie setzten sich immer mehr arthroskopische Techniken durch, Verfahren, die heute nicht mehr wegzudenken sind und von jedem Facharzt beherrscht werden. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass im orthopädisch-unfallchirurgischen Alltag die Zeit für genaue klinische Untersuchungen und anamnestische Befragungen nicht mehr zur Verfügung steht und sofort CT und MRT angefordert werden, zumal der Patient ja sowieso darauf besteht. Eigene differentialdiagnostische Überlegungen brauchen dann erst gar nicht angestellt zu werden. In allen Fachgebieten sind ambulante Operationen heute Standard, effektiv und im Vergleich zu einem Klinikaufenthalt kostensparend.

Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Spaß gemacht?
Dr. Heusgen: Der persönliche Kontakt mit jedem einzelnen Patienten und die Bereitschaft, für die jeweilige Diagnostik und Therapie Verantwortung übernehmen zu können und zu wollen, war für mich immer wichtig. Sein eigener Herr zu sein und im eigenen „Laden“ die Richtlinien der Politik zu bestimmen und Zeitabläufe festzulegen, bedeutete mir viel. Bedauerlicherweise wurde dies allerdings spätestens nach Erlangung der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ und unter der interessanten Beschäftigung mit rheumatologischen Problemen in einer schwerpunktmäßigen Kassenpraxis zeitmäßig immer schwieriger und kaum kostendeckend.

Dr. Sievers:  Rückblickend auf meine fast 10-jährige Klinikzeit und 30-jährige Zeit in selbstständiger Niederlassung, waren es immer die innovativen medizinischen Themen, die mich interessiert haben und deren Planung und Umsetzung mir Spaß gemacht haben. Zum Zeitpunkt meiner Niederlassung 1989 beschäftigte ich mich mit der percutanen Nucleotomie und der Laseranwendung in der Arthroskopie, die wir in unserem ambulanten OP durchgeführt haben. Auch die Entwicklung des ambulanten OP-Spektrums in der Hand-/Fuß- und Kniegelenkchirurgie,  zu einem Zeitpunkt, zu dem ambulante Operationen noch die absolute Ausnahme waren, hat mir Spaß gemacht; ebenso der Aufbau eines Zentrums für Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP) Anfang der 90iger Jahre. Freude bereitet mir auch meine Golfsprechstunde, die ich bis heute weiterführe. Ich hatte das Glück, dass ich mein gesamtes Berufsleben in der Niederlassung gemeinsam mit meiner Frau gestalten konnte, so dass auch unser Alltag in der orthopädischen Praxis in einem familiären Team an Mitarbeitern sehr angenehm war.

Wieso sollte man sich heute für Orthopädie und Unfallchirurgie entscheiden?
Dr. Sievers:  Orthopädie und Unfallchirurgie hat in den letzten 40 Jahren eine rasante Weiterentwicklung vollzogen. Arthroskopie und minimalinvasive Operationstechniken, die Fortschritte in der Prothetik, begleitet von der Entwicklung in der bildgebenden Diagnostik Sonographie, CT und MRT, alles ist in den letzten 40 Jahren entstanden und hat die Grenzen des operativ Machbaren ständig nach oben verschoben. O und U ist so vielfältig und interessant und bieten eine enorme individuelle Weiterentwicklung in zahlreichen Spezialisierungen. Nicht zu vergessen sind die positiven Erfolgserlebnisse, die nach exakter Diagnostik und kompetenter Therapie sehr viele zufriedenen Patienten schaffen. Für mich gibt es kein schöneres und interessanteres Fach.

Dr. Heusgen: Das kann ich nur bestätigen. Wer Spaß am biomechanischen Denken hat, diagnostisch und therapeutisch in gleicher Weise tätig sein möchte, vielleicht als Heimwerker nicht ungeschickt ist, für den ist die tägliche Arbeit am Bewegungsapparat ein fantastisches Betätigungsfeld. Die Anwendung minimalinvasiver Techniken an Gelenken und auch der Wirbelsäule sind nicht mehr wegzudenken und teilweise auch ambulant durchführbar. Zudem erweitern radiologische Kenntnisse bei entsprechendem Interesse den Horizont enorm. Auch können eigene sportliche Erfahrungen bei der Beschäftigung mit dem Fachgebiet sehr motivierend sein. Der nach wie vor „subkutan“ ausgeübte Kampf unter den ursprünglichen Fachdisziplinen Orthopädie einerseits und Unfallchirurgie andererseits, ist für mich unverständlich und nicht mehr zeitgemäß.

Ob Klinik, Praxis oder öffentlicher Gesundheitsdienst – der Ärztenachwuchs ist heiß umworben. Wie schwierig ist es aus Ihrer Sicht, junge Ärzte für die Niederlassung zu überzeugen?
Dr. Sievers: Der Klinikalltag ist durch die verbesserte Work-Life-Balance wesentlich attraktiver geworden. Die Niederlassung bedeutet jedoch einen weitgehenden Verzicht darauf. Hinzu kommt das unternehmerische Risiko. Zu bedenken ist, dass der selbstständig Niedergelassene in unserer Gesellschaft als Wirtschaftsunternehmen wahrgenommen und behandelt wird. Andererseits sollten medizinische Behandlungen nicht von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst werden. Wer sich dieser Problematik bewusst ist und dennoch den Reiz der Selbstständigkeit verspürt, wird es nach meiner Erfahrung nicht bereuen. In meiner Generation erfolgte die Niederlassung in der Regel in einer Einzelpraxis, dies ist heute die absolute Ausnahme. Heutzutage übernimmt man einen KV Sitz von einem ausscheidenden Kollegen in einer bereits bestehenden Praxisklinik, einem MVZ oder einer anderen Berufsausübungsgemeinschaft mit Fachkollegen. Durch die Gemeinschaft wird das finanzielle Risiko reduziert und die fachlichen Möglichkeiten optimiert. Diagnostische und therapeutische Geräte, die man sich allein nicht hätte leisten können, werden gemeinsam finanziert. Heute bestehen nach der Niederlassung zahlreiche Möglichkeiten, die in der Klinik erworbenen operativen Fähigkeiten weiterhin auszuüben, z.B. in einer benachbarten Klinik oder in einem der zahlreichen ambulanten Operationszentren. Unter diesem Aspekt ist eine Niederlassung gerade heute sehr attraktiv.

Dr. Heusgen: Meiner Meinung nach ist die Zeit einer orthopädischen Einzelpraxis endgültig vorbei. Schon allein die Anschaffung und der Erhalt einer modernen Ausstattung sind finanziell für einen Einzelnen kaum zu stemmen. Auch die Planung und der Beginn meiner Selbstständigkeit vor 35 Jahren wäre ohne die aktive Hilfe meiner Ehefrau nicht denkbar gewesen. Die Niederlassung im Rahmen einer Kooperation erlaubt gerade heute eine anspruchsvolle, umfassende orthopädische Versorgung, wenn man an die Herausforderungen in Rheumatologie, Schmerztherapie und der interventionellen Radiologie denkt. Auch ich würde mich immer noch für die Selbständigkeit entscheiden, da der persönliche Umgang mit den Patienten, das Verantwortungsgefühl für Praxisorganisation und Personal sowie die Steuerung des wirtschaftlichen Erfolges ein hohes Maß an Zufriedenheit verleiht. Andererseits habe ich Verständnis dafür, dass dies mit den heutigen Vorstellungen der bereits von Dr. Sievers genannten Work-Life-Balance kaum vereinbar ist. Allein die Praxisorganisation, Dokumentation und das Qualitätsmanagement verlangen Spezialkönnen und -wissen, was letztlich eine Zeitverkürzung in der Betreuung der Patienten zur Folge hat. Mit der Selbstständigkeit ist letztlich eine Unabhängigkeit gegeben. Ich würde mich daher auch heutzutage noch für eine selbstständige Niederlassung in Kooperation entscheiden.

Was geben Sie der jungen Generation mit auf den Weg?
Dr. Heusgen: Stellen Sie weiterhin das Wohl des Patienten in den Vordergrund Ihrer Tätigkeit, auch wenn das finanzielle Ergebnis nicht immer befriedigend ist. Nehmen Sie sich Zeit für Anamnese und klinische Untersuchung. Wir wissen alle, dass nicht jede Igel-Leistung notwendig ist. Die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Leistung biete ich an oder nicht, sollte trotz allem finanziellen Druck nicht auf dem Rücken des ängstlichen und nichtwissenden Patienten ausgetragen werden. Jeder von uns sollte abends noch unbelastet in den Spiegel gucken können. Das Urteil in der Bevölkerung über unser Fachgebiet wird oft nicht grundlos von diesem negativen Eindruck geprägt.
Dr. Sievers: Mein Rat an die jüngeren Kollegen ist: Wer sich für unser Fach interessiert und dafür brennt, wird sich sowohl in der Klinik als auch in  der Niederlassung wohlfühlen.

Sehen Sie das Leben mit fast 70 nun anders?
Dr. Heusgen: Die digitale Welt hat auch unser Fachgebiet in den letzten Jahren sprichwörtlich überrannt. Wenn ich an die erstmalige Anschaffung und den Einsatz meiner Einplatz-EDV-Anlage denke, wird mir heute noch schwindelig, zumal auch die EDV-Abrechnung in den ersten Jahren jedes Mal eine mittlere Katastrophe war. Natürlich neigt man mit 70 Jahren bereits dazu, alte Zeiten zu verherrlichen. Viele Beispiele fallen mir dazu ein, aber das würde diesen Rahmen sprengen. Mein Übergang in das Rentendasein war auch nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Vom einen auf den anderen Tag war man nicht mehr gefragt, das tägliche „Erfolgserlebnis“ fiel auf einmal weg. Jetzt freut man sich beim Einkaufen oder auf der Straße über jede freundliche Begrüßung bei der Begegnung mit einem ehemaligen Patienten. Plötzlich hat man zuhause einen neuen „Chef“, nämlich die eigene Ehefrau (lacht). Der Tagesablauf wird legerer. Ich trage seit längerer Zeit keine Uhr mehr. Der tägliche Druck durch ein volles Wartezimmer, dringende Telefonate usw. entfällt. Ausgeruht kann man seinen Hobbys nachgehen. Für mich hatte die Beschäftigung mit der Musik immer einen großen Stellenwert. Parallel zum Medizinstudium war ich als außerordentlicher Hörer in der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz eingeschrieben. Musikalisches Mitgestalten eines Werkes war für mich Herausforderung und Entspannung zugleich.  Bis heute kann ich mich kammermusikalisch wie auch im Orchester erfolgreich engagieren. Als Mitglied des Weltärzteorchesters habe ich immer wieder Gelegenheit, in den berühmten Konzertsälen der Welt an fast professionellen Aufführungen großer musikalischer Werke teilzunehmen – und das jeweils für einen caritativen Zweck mit Medizinbezug. – Leider hat Corona im letzten Jahr diese Aktivitäten völlig zum Erliegen gebracht.

Wie ist Ihre Definition von Glücklichsein?
Dr. Sievers: Meine Definition von Glücklichsein ist im beruflichen Sinne geprägt von einem Rückblick auf ein erfülltes, abwechslungsreiches, interessantes Berufsleben. Privat ist mir die Gesundheit, Zufriedenheit, Partnerschaft mit meiner Frau, einem engen verlässlichen Freundeskreis und Beschäftigung mit Hobbys wichtig, die durch das Berufsleben bisher zu kurz kamen.
Dr.  Heusgen: Unter „glücklich sein“ verstehe ich zunächst nicht das Gegenteil von „Pech haben“. Ohne groß zu philosophieren, ist Glücklichsein ein vielschichtiger Begriff, deren tragende Säule die Gesundheit ist. Dazu gehören für mich eine intakte und harmonische Partnerschaft und Familie; der regelmäßige Umgang mit den Enkelkindern vermittelt eine ungeahnte Freude. Man hat auf einmal die Zeit, die während des Berufslebens für die eigenen Kinder nicht immer zur Verfügung stand. Nicht zuletzt bedeutet mir der regelmäßige gesellige Umgang im Freundeskreis sehr viel. Auch die Erfüllung im Beruf hat einen positiven Einfluss auf das Glücklichsein. Weiterhin gehört eine optimistische Lebenseinstellung dazu. Ein wichtiger Faktor ist, dass man die Kontrolle über das eigene Leben behält, dazu gehört auch (finanzielle) Unabhängigkeit. Das Gefühl, sozusagen selbst am Steuer zu sitzen, ist aus meiner Sicht wichtig. Natürlich bin ich mir bewusst, dass dieser Idealzustand nie ewig anhalten wird.

Herr Dr. Heusgen und Herr Dr. Sievers, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute zu Ihrem 70. Geburtstag!

Das Interview führte Janosch Kuno, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Vieles gemeinsam: Dr. Johannes Heusgen und Dr. Stephan Sievers (r.) © Privat

Ausschreibung Deutscher Journalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie 2021

Gemeinsame Ausschreibung des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU)

Berlin, 31.03.2021: Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und der  loben im Jahr 2021 zum 12. Mal den Deutschen Journalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie (JOU) aus. Mit der Würdigung herausragender Publikationen aus den Bereichen Print, Rundfunk sowie Online-Medien möchten die Verbände die Qualität der Berichterstattung über orthopädisch-unfallchirurgische Themen fördern und die wachsende Bedeutung des Faches in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Bewerbungen können bis zum 31. Juli 2021 eingereicht werden. Der Preis ist mit insgesamt 5.000 Euro dotiert. Er kann von der Jury auf mehrere Arbeiten aufgeteilt werden.

Verletzungen und Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane, also von Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen, sind immer öfter Ursache für langwierige Krankenhausaufenthalte und erhebliche Lebenseinschränkungen. Die Orthopädie und Unfallchirurgie hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Veränderungen und Entwicklungen erlebt, sodass Patienten heute von wesentlich verbesserten Behandlungen profitieren, die ihnen ihre Mobilität und Selbständigkeit bis ins hohe Alter sichern.

Ausgezeichnet werden herausragende journalistische Beiträge, die ein Thema aus der konservativen oder operativen Orthopädie und Unfallchirurgie fachlich fundiert, verständlich und differenziert darstellen. Das können z.B. Veröffentlichungen zu Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie Krankheitsverläufen oder Innovationen sein. Die Beiträge sollen die Wertigkeit des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen beleuchten, über Behandlungsmethoden aufklären und Mediennutzern belastbare, transparente Informationen als Orientierungshilfe anbieten.

Teilnahmevoraussetzungen
Die Beiträge müssen in einem deutschsprachigen Medium (Print, Hörfunk, Fernsehen, Online) im Zeitraum vom 1. August 2020 bis zum 31. Juli 2021 erschienen sein. Die Beiträge sollen sich durch gründliche Recherche, redaktionelle Unabhängigkeit, interessante Aufarbeitung und sachliche Korrektheit auszeichnen. Pro Autor kann nur ein Beitrag eingereicht werden. Auch Autoren-Teams können sich bewerben.

Bewerbungsunterlagen
Bitte füllen Sie für Ihre Bewerbung das Stammblatt JOU aus. Laden Sie dafür bitte das Onlineformular herunter und speichern Sie es lokal auf Ihrem Rechner. Zum Onlineformular

Bitte reichen Sie außerdem folgende Dokumente in digitaler Form ein:

  • Für Printmedien: Word-Dokument des Textes sowie den Originalbeitrag eingescannt als PDF-Dokument
  • Für Hörfunkbeiträge: MP3-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
  • Für Fernsehbeiträge: MP4-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
  • Für Online-Beiträge/Podcasts/Videos: Link zum Beitrag sowie die Schaltzeiten und ggf. ein PDF-Dokument

Bitte nutzen Sie für die Datenübermittlung z.B. den kostenfreien Filehosting-Dienst wetransfer.com

Jury
Eine unabhängige Jury bewertet die eingereichten Arbeiten und ermittelt die Preisträger. Die Jury setzt sich zusammen aus Medienvertretern, einem gesundheitspolitischen Vertreter sowie Repräsentanten und Ärzten der ausrichtenden Verbände. Die Preisvergabe erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges.

Einsendeschluss
Journalisten können ihre Bewerbungsunterlagen bis zum 31. Juli 2021 einreichen.

Informationen zum Journalistenpreis sowie zu früheren Preisträgern und deren Arbeiten hier.

Bewerbung und Kontakt für Rückfragen
Janosch Kuno
Kommunikation und Pressearbeit
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.)
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 797 444 55
Fax +49 (0)30 797 444 45
E-Mail: presse@bvou.net
www.bvou.net

Susanne Herda und Swetlana Meier
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) e.V.
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 340 60 36 -06 oder -16
Telefax: +49 (0)30 340 60 36 01
E-Mail: presse@dgou.de
www.dgou.de

GKV-Hilfsmittelverzeichnis erhält fast 4.000 neue Produkte

Berlin – Um die 36.200 Produkte umfasst das Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnis (HMV) des GKV-Spitzenverbandes. Die 41 Produktgruppen werden anlass- und turnusmäßig fortgeschrieben, um relevante medizinische und technische Erkenntnisse sowie neueste Entwicklungen bei der Hilfsmittelversorgung zu berücksichtigen. In den letzten zwölf Monaten wurde die Fortschreibung von sieben Produktgruppen erfolgreich abgeschlossen – dazu gehören Bereiche wie orthopädische Einlagen, Hörhilfen und therapeutische Bewegungsgeräte. Elf weitere Produktgruppen werden gegenwärtig aktualisiert. 3.942  Produkte wurden neu in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen, 1.127 wurden aktualisiert und 3.439 Produkte, die veraltet sind oder nicht mehr hergestellt werden, wurden aus dem Verzeichnis genommen. Bei den digitalen Hilfsmitteln sollten sich die Hersteller schneller melden, damit mehr Tempo in die Versorgung kommen kann. Diese und weitere Hintergrundinformationen stehen im vierten Fortschreibungsbericht, der gerade dem Bundesgesundheitsministerium übergeben wurde.

2020 erhielten GKV-Versicherte Hilfsmittel in Höhe von über 9 Milliarden Euro

„Im Jahr 2020 erhielten GKV-Versicherte Hilfs- und Pflegehilfsmittel in Höhe von 9,25 Milliarden Euro, das sind durchschnittlich rund 126 Euro für jeden. Mit der aktuellen Überarbeitung wurden fast 4.000 Hilfsmittel neu aufgenommen. So sorgen die turnusmäßigen und anlassbezogenen Fortschreibungen dafür, dass unsere Versicherten stets Zugang zu Hilfs- und Pflegehilfsmitteln in hoher medizinischer und technischer Qualität und zu innovativen Produkten erhalten“, so Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKVSpitzenverbandes.

CPM-Schulter- und Kniebewegungsschienen jetzt zuhause anwendbar

Motorbetriebene CPM-Bewegungsschienen (continuous passive motion) sollen die Beweglichkeit bei Gelenkverletzungen verbessern, Versteifungen verhindern und den Heilungsprozess unterstützen. Bisher erfolgte die CPM-Anwendung ergänzend zur Physiotherapie und im begründeten Einzelfall. Mit der Fortschreibung können GKV Versicherte die fremdkraftbetriebenen Schulter- und Kniebewegungsschienen nun auch unterstützend im Rahmen konservativer Behandlung in der eigenen Häuslichkeit erhalten.

Moderne Materialien und Technologien bei orthopädischen Einlagen

Bei orthopädischen Einlagen profitieren GKV-Versicherte davon, dass der 3D-Fußscan nun Stand der Technik ist und so die Datenerfassung der Fußanatomie exakter und schneller durchgeführt werden kann. Ebenso erhöht sich die Produktqualität von Einlagen, denn alternativ zu Leder können moderne vergleichbare Materialien wie Alcantara und Mikrofaser als Deck- und Bezugsschicht bei der Herstellung verwendet werden.

Mehr Anträge für die Produktgruppe 52 „Digitale Pflegehilfsmittel“ erwünscht

Digitale Pflegehilfsmittel, zu denen technische Assistenzsysteme wie z. B. Hausnotrufsysteme, Erinnerungs- und Orientierungshilfen, spezielle Sensoren sowie Geräte zur GPS-Ortung zählen, sollen schnell Eingang in die Versorgung für GKV-Versicherte finden. Um Herstellern innovativer Produkte die Antragsstellung zu erleichtern, hat der GKV-Spitzenverband für die Produktgruppe 52 zwei neue Untergruppen zur Orientierung eingerichtet: In die eine sollen Produkte aufgenommen werden, die zur Verbesserung kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten dienen. Zur zweiten Untergruppegruppe zählen Hilfsmittel, die den Versicherten bei der Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen unterstützen. Hierzu gehören digitale  Medikamentenspender, Trackingsysteme, Erinnerungshilfen und Produkte zur Gefahrenabwehr wie z. B. zur Herdüberwachung.

„Unsere Versicherten sollen weiterhin umfassend mit innovativen Produkten wie etwa digitalen Assistenzsystemen versorgt werden. Daher meine dringende Aufforderung an alle Hilfsmittelhersteller, sich mit neuen und innovativen Produkten rasch bei uns zu melden und die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis zu beantragen. Wir können nur die Produktneuheiten ins Verzeichnis aufnehmen, die wir kennen. In den letzten zwölf Monaten hat uns lediglich ein Antrag erreicht“, so Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.

Anspruch auf mehrkostenfreie Hilfs- und Pflegehilfsmittelversorgung

GKV-Versicherte haben im Rahmen des Sachleistungsprinzips Anspruch auf eine mehrkostenfreie Hilfs- und Pflegehilfsmittelversorgung. Die Leistungserbringer wie Sanitäts- und Orthopädiefachgeschäfte, Hörakustiker u. v. a. müssen stets aktiv über diesen Versorgungsanspruch informieren, mehrkostenfreie Hilfsmittel zuerst anbieten und auf eventuelle Mehrkosten ausdrücklich hinweisen. Zu den Hilfs- und Pflegehilfsmitteln gehören u. a. Bandagen, Hörgeräte, Inkontinenzprodukte, Rollstühle, Kompressionsstrümpfe, Prothesen, Exoskelette, Insulinpumpen, Blindenführhunde sowie Applikationshilfen zur Verabreichung von Arzneimitteln.

Überarbeitung bezieht zahlreiche Akteure im Gesundheitswesen mit ein

In der Überarbeitung und Fortschreibung des Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses für GKV-Versicherte sind zahlreiche Akteure beteiligt: Hersteller- und Leistungserbringerorganisationen, Patientenvertretungen, MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) und MDS (Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes) sowie die Krankenkassen und ihre Verbände. Für eine umfassende Analyse der aktuellen Versorgungsrealität und zur Stärkung bzw. Bündelung der Synergien werden zudem regelmäßig Fachgesellschaften und Sachverständige aus Wissenschaft und Technik eingebunden. Neben schriftlichen Anhörungen zu den Produktgruppen werden auch mündliche Anhörungen, u. a. der Patientenvertretung, durchgeführt. So werden Versichertenbedürfnisse gezielt im Fokus gehalten.

Quelle: GKV-Spitzenverband

 

Infobrief 1 2021: Aktuelles aus Handchirurgie

Berlin – Die neue Ausgabe des BVOU-Infobriefs ist fertig!  Dieser Infobrief informiert Sie über aktuelle Entwicklungen und Trends in der Handchirurgie. Wir möchten Ihnen anhand verschiedener Themen demonstrieren, wie vielseitig die Handchirurgie ist. BVOU-Mitgliedern in der Weiterbildung, soll Interesse an einem Fachbereich geweckt werden, in welchem hochpräzise, basierend auf anatomischen Kenntnissen, mit filigraner manueller Geschicklichkeit und hohem Respekt vor der Integrität des Weichgewebes operiert wird. Doch vor jeder Operation steht im Bereich der Hand, vielleicht noch mehr als in anderen Fachbereichen, die gut abgewogene Indikationsstellung. Namhafte Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie stellen einen Querschnitt von Krankheitsbildern, Verletzungen und Behandlungsmöglichkeiten aus speziellen handchirurgischen Schwerpunkten vor. Die Zeitschrift informiert BVOU-Mitglieder wie immer auch über Themen aus Verbandsarbeit, Berufspolitik und O&U. 

Den Infobrief erhalten BVOU-Mitglieder in diesen Tagen zugeschickt. Lesen Sie hier das Heft online.

„BVOU als wichtiger Motor, um Gesundheitspolitik in O&U zu gestalten“

Berlin/Heidelberg – Seit dem 15. September 2020 hat die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsklinik Heidelberg einen neuen Ärztlichen Direktor: Professor Dr. Tobias Renkawitz. Der 45-jährige Orthopäde ist Spezialist für gelenkerhaltende und gelenkersetzende Therapieverfahren am Knie- und Hüftgelenk. Nach dem Examen war er anfangs in der Allgemein- und Unfallchirurgie tätig, 2005 wechselte er an die Orthopädische Universitätsklinik Regensburg in Bad Abbach, wo er 2008 die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Arbeitsgruppe „Patientenindividuelle Endoprothetik“ aufbaute. Auslandsstipendien orthopädischer Fachgesellschaften führten ihn nach Skandinavien, in die USA, nach England und Kanada. Seit 2012 war er stellvertretender Klinikdirektor und wurde bereits mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter 2014 mit dem „Medizin-Oskar“ der Berliner Stiftung Oskar-Helene-Heim, 2016 dem Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik und der Stiftung Endoprothetik. Humanitäres Engagement ist dem Familienvater ein besonderes Anliegen. Von der Stiftung Gesundheit in Hamburg wurde Renkawitz 2018 dafür mit dem „Dr. Pro Bono“-Siegel ausgezeichnet – eine Anerkennung für „Ärzte mit Herz“, die im Ehrenamt bedürftige Menschen unterstützen. Neben seiner Tätigkeit als Leiter der DGOU Arbeitsgemeinschaft „Evidenzbasierte Medizin in Orthopädie und Unfallchirurgie“ ist er Beirat im Gesamtvorstand der DGOOC. Im BVOU ist Prof. Renkawitz seit 2017 Mitglied. Ein Interview über seinen Arbeitsalltag und seine Erwartungen an einen Berufsverband.

Herr Professor Renkawitz, Sie haben Ihre neue Tätigkeit in einer schwierigen Zeit begonnen: Die Pandemie stellt auch weiterhin eine immense Herausforderung dar – wie verlief der Start mitten in einer Krise?
Prof. Renkawitz:
Als ich September letzten Jahres mein Amt angetreten habe, ging es erst einmal darum, Personen und Prozesse kennenzulernen. Im Spätherbst wurde klar, dass die zweite Welle ernster ausfallen wird als die Situation im Frühjahr. Natürlich war es eine Herausforderung, einen großen Standort für orthopädische Universitätsmedizin unter den Bedingungen der Pandemie zu managen. In einem ersten Schritt haben wir Fachkräfte zur Unterstützung abgestellt. Als sich die Situation verschärfte, etablierten wir eine eigene Isolierstation an unserer Klinik, um die Kolleginnen und Kollegen der Inneren Medizin zu entlasten. Hier hat uns die weitläufige Architektur in Schlierbach geholfen, da wir diese Einheit mit eigenen Teams vollständig abtrennen konnten. Gleichzeitig ist es uns gelungen, unseren Patientinnen und Patienten weiterhin dringliche Operationen zu ermöglichen und unsere chirurgische Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Sie sind bestimmt mit Zielen und Visionen nach Heidelberg gekommen. Was ist ihr Plan?
Prof. Renkawitz:
Die Überschrift könnte lauten: „Kontinuität wahren, Innovation fördern“. Die Universitätsklinik Heidelberg war schon immer geprägt von spezialisierten Sektionen und einer besonderen Vernetzung mit wissenschaftlichen Excellenzforschungseinrichtungen. Ich freue mich, in diesem starken Team die konservative und operative muskuloskelettale Universitätsmedizin kontinuierlich weiterzuentwickeln und die akademischen Wissens- und Forschungsverbünde vor Ort zu unterstützen. Keine Frage: Die Rahmenbedingungen der Universitätsmedizin für Forschung und Lehre, Translation und Krankenversorgung sind herausfordernd, aber eines hat uns die Pandemie doch verdeutlicht: Der Weg aus einer Krise kann auch universitäre Forschung sein. Die inzwischen verfügbaren Covid Impfstoffe sind im Wirkprinzip daraus entstanden. Als Universitätskliniken in O&U müssen wir außerdem darauf achten, alle Weiterbildungsinhalte und Qualifikationen zu erhalten und weiterzugeben. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Die orthopädische Rheumatologie, die spezielle orthopädische Schmerztherapie und die ausgewählte, bildgebende Diagnostik gehören doch zu unserem Fachgebiet dazu.

Ein ausgewiesener chirurgischer Schwerpunkt von Ihnen sind gelenkerhaltende und gelenkersetzende Therapieverfahren am Hüft- und Kniegelenk. Insbesondere Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk benötigen, profitieren von Ihren Operationstechniken. Wie sehen diese aus?
Prof. Renkawitz: Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination aus minimalinvasivem, also einem besonders muskelschonenden Vorgehen in Kombination mit hoher Präzision beim Einsetzen der Implantate. Mit dieser Operationstechnik erreichen wir postoperativ ein Maximum an Beweglichkeit, Stabilität und Schmerzfreiheit. Man benötigt für diese OP-Techniken ein eingespieltes Team und eine Routine. Persönlich beschäftige ich mich seit über einer Dekade darüber hinaus mit digitalen Assistenzsystemen, um die Operationen noch exakter und sicherer zu machen. Konkret nutzen wir in Heidelberg dazu beispielsweise schon vor der OP einen Ganzkörperscanner mit Nobelpreis Technologie, um uns mit geringster Strahlenbelastung am stehenden Patienten wirklichkeitsgetreu dreidimensional auf die OP vorzubereiten. Intraoperativ helfen uns Navigation und die Fluoroskopie, um diese Präzision dann umzusetzen. Den Schmerz bekämpfen wir bei unserer Technik schon während der Operation dort, wo er entsteht, mit einem speziellen Schmerzmittel. Unsere Patienten sind nach einem künstlichen Knie- oder Hüftgelenk somit bereits am Operationstag mit unseren Physiotherapeuten selbstständig unterwegs und bei der Körperpflege nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. Viele der klassischen Komplikationen, die wir postoperativ kennen, lassen sich dadurch vermeiden.

Ein wissenschaftliches Projekt, das Sie mit nach Heidelberg gebracht haben, gilt der Weiterentwicklung moderner Materialtechniken für die orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie mit Hilfe des 3D-Drucks. Was möchten Sie hier konkret verändern  bzw. voranbringen?
Prof. Renkawitz:
Additive Hochleistungswerkstoffe eröffnen uns in der Medizin eine völlig neue Welt. Viele der Materialnachteile, die wir im Bereich von „klassischen“ Implantaten und Osteosynthesen sehen, könnten wir mit Hilfe der neuen Fertigungstechniken zukünftig möglicherweise lösen. Wir kooperieren mit Hightech- Unternehmen und greifen auf Technologien zurück, die am Markt noch nicht erhältlich sind. In Bereichen der Lastübertragung am oder im Knochen, der Immunologie und Infektiologie, bieten sich dabei ganz neue Forschungsansätze. Allerdings steht primär die Frage nach der Sicherheit an erster Stelle – d.h. also die biomechanische Testung. Es ist ein besonderer Glücksfall, dass es in Heidelberg für all die erwähnten Bereiche international führende Forschungseinrichtungen gibt, um diese Bereiche interdisziplinär wissenschaftlich voranzubringen.

Wie viele andere BVOU-Mitglieder auch, haben Sie eine besondere Passion für die Betreuung des Spitzensports und waren u.a. auch in der Fußball-Bundesliga aktiv. Was fasziniert Sie an der Spitzensportlerbetreuung?
Prof. Renkawitz:
Ich mag es prinzipiell, in einem professionellen Umfeld und im Team zu arbeiten. Dabei ist es eine spannende Erfahrung, als Mannschaftsarzt in der Bundesliga hinter die Kulissen zu blicken. Ich kann unsere jungen Kolleginnen und Kollegen nur ermutigen, sich selbst aktiv in Sportvereinen einzubringen. Es verletzen sich auf den Spielfeldern unseres Landes jedes Wochenende noch immer viel zu viele Frauen und Männer. In meiner Heimatregion haben wir mit dem bayerischen Fußball-Landesligisten TSV Bad Abbach zusammen deshalb das Projekt „Verletzungsfrei – Spitzenmedizin im Amateurfußball“ etabliert, um mit einigen verletzungspräventiven Methoden aus dem Profisport auch bei Amateurvereinen ausgewählte Ansätze im Training und Spiel umzusetzen.

Gibt es bei ihnen persönlich auch eine Sportart, die Ihre Leidenschaft ist und die Sie regelmäßig ausführen oder ausgeführt haben?
Prof. Renkawitz:
Mich faszinieren Ballsportarten und ich bin als gebürtiger Bayer mit dem Mountainbike groß geworden.

Sie sind seit 2017 Mitglied beim BVOU. Was erwarten Sie von einem Berufsverband?
Prof. Renkawitz:
Der BVOU ist seit Jahren ein wichtiger Motor, um gesundheitspolitische Herausforderungen in O&U zu gestalten. Es ist ja völlig normal, dass wir kontinuierlich mit Veränderungsprozessen innerhalb unseres Gesundheitssystems konfrontiert werden. Als starke berufspolitische Vertretung stellt der BVOU dabei die Leistungsfähigkeit unseres Fachgebiets im System dar. Die besondere Vernetzung zwischen den Sektoren innerhalb des Berufsverbands empfinde ich dabei als besondere Stärke. Fort- und Weiterbildung sind mir ein persönliches Anliegen. Mit der „Akademie Deutscher Orthopäden“ und dem Gemeinschaftsprojekt „Akademie für Orthopädie und Unfallchirurgie“ ist der BVOU gut aufgestellt. Ich bin gespannt, wie sich die beiden Formate in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Als Universitätsmediziner und Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Evidenzbasierte Medizin“ wünsche ich mir natürlich, dass der BVOU auch die wissenschaftliche Fahne in der Berufspolitik konstant hochhält.

Welche Mitgliedervorteile sind Ihnen besonders wichtig?
Prof. Renkawitz:
Neben den „klassischen“ Mitgliedervorteilen in unserem Verband, beeindrucken mich das Orthinform- Portal und die patientenzentrierten Angebote für Praxen und Kliniken. Mit unserem Format „Karrieretag Orthopädie und Unfallchirurgie“ wollen wir jungen BVOU-Mitglieder einen Mehrwert bieten. In dem Symposium geben erfahrene Referenten aus der Klinik und Praxis zusammen mit Juristen konkrete Tipps für verschiedene Karriereoptionen in O&U.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Prof. Renkawitz:
Teamgeist, Professionalität und Freiheit. Ich möchte mit einem Team in einem professionellen Umfeld arbeiten können und Möglichkeiten haben, ohne Restriktionen meinen Patientinnen und Patienten die besten orthopädischen Versorgungskonzepte anbieten zu können.

Was fordern Sie von der Politik?
Prof. Renkawitz:
Die Corona Pandemie hat uns Stärken aber auch Grenzen unseres Gesundheitssystems aufgezeigt. Trotz der sicherlich an vielen Stellen berechtigten Kritik bin ich froh, dass wir unsere Patientinnen und Patienten mit hoher Behandlungsqualität versorgen können. Damit dies auch so bleibt, müssen wir für uns Orthopäden und Unfallchirurgen fordern, zukünftig den Fokus wieder mehr auf die menschliche Komponente im System zu richten. In unserem Fach bieten einige systemimmanenten Erlösmodelle im stationären Bereich noch immer zu viele Fehlanreize. Andererseits werden sinnvolle Therapiemaßnahmen mit einer fehlgeleiteten Nutzenbewertung falsch interpretiert und reglementiert. Es wäre wichtig, diese Entwicklung zu korrigieren.

Herr Professor Renkawitz, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Janosch Kuno, BVOU-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.