Wertheim – Mit einem erst kürzlich publizierten Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.9.2018 (S 2 KR 6472/15) ergeben sich potentielle Regressgefahren für arthroskopische Operateure, die Meniskus-Naht- Implantatsysteme verwenden.
Eine Klinik in Baden-Württemberg hatte bei einem 20-jährigen Patienten im Rahmen einer ambulanten Arthroskopie zur Therapie einer bis ins Hinterhorn reichenden Außenmeniskuskorbhenkelläsion drei Fast-Fix-360-Anker von Smith & Nephew verwendet. Die Klinik stellte der zuständigen Krankenkasse für die ambulante Operation einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.748,59€ in Rechnung, hiervon entfielen insgesamt 720,84€ auf Sachkosten für die Ankersysteme. Die Krankenkasse beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens. Im Gutachten stellte dieser fest, dass zur Anwendung des Fast-Fix-Anker-Systems zur Meniskusrefixation keine Langzeitresultate aus validen Studien vorhanden seien, eine Überlegenheit gegenüber konventionellen Nahttechniken sei bisher nicht belegt. Es liege keine nachvollziehbare Indikation für den Einsatz des Ankersystems vor. Eine Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden. Die Krankenkasse verrechnete daraufhin den Betrag in Höhe von 720,84€ mit anderen Forderungen der Klinik. Hiergegen klagte die Klinik beim SG Stuttgart.
Hierbei trug sie vor, die Verwendung des Ankersystems sei medizinisch indiziert gewesen. Die Vergütung der Sachkosten einer ambulanten OP richte sich nach § 9 AOP-Vertrag. Nach § 9 Abs. 5,6 AOP-Vertrag seien die Kosten in Höhe von 720,84€ zu übernehmen. Die Verwendung der im Körper verbleibenden Implantate sei orientiert am Wirtschaftlichkeitsgebot medizinisch notwendig gewesen, es bestünden auch valide wissenschaftliche Veröffentlichungen, die einen Beleg für die Überlegenheit des Ankersystems gegenüber einer herkömmlichen Naht lieferten. Zudem sei das Infektionsrisiko niedriger, die Mobilität schneller wieder hergestellt sowie das Operationsrisiko bei verkürzter OP-Zeit reduziert.
Im Verlauf des Verfahrens legte die Krankenkasse ein weiteres MDK-Gutachten vor, wonach aus vorliegenden Einzelberichten keine valide Risikoreduzierung bei der Verwendung des Ankersystems ableitbar sei. Die klagende Klinik legte eine Stellungnahme des Berufsverbandes für Arthroskopie e. V. (BVASK) vor. Dieser kam darin zu der Schlussfolgerung, dass ein Verzicht auf die Erstattung von Sachkosten bei Meniskusnahtsystemen eine moderne chirurgische Versorgung von Meniskusrissen unmöglich mache.
Das SG Stuttgart gab in seinem Urteil der Krankenkasse Recht. Zusammenfassend argumentiert die Urteilsbegründung, dass die Verwendung der Fast-Fix-Anker im vorliegenden Behandlungsfall nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche. Nach § 9 Abs. 6 AOP-Vertrag habe das Krankenhaus die gesondert berechnungsfähigen Materialien nach § 9 Abs. 5 AOP-Vertrag jedoch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots und der medizinischen Notwendigkeit auszuwählen. Ein Krankenhaus sei gemäß § 115 b Abs. 2 S. 3 zur Einhaltung des Vertrags verpflichtet (BSG v. 23.3.2011, B 6 KA 11/10 R, Rz 51 ff.). Das Wirtschaftlichkeitsgebot habe zur Folge, dass bei der Auswahl zwischen zwei oder mehr in gleicher Weise
geeigneten, den gleichen Heilerfolg bietenden Maßnahmen diejenige auszuwählen sei, welche die geringsten Kosten verursache. Im vorliegenden Fall wäre nach Überzeugung der Kammer eine Operation mittels konventioneller Meniskusnaht jedenfalls mit gleichem Erfolg wie mittels der Fast-Fix-Methode in Betracht gekommen.
Eine generelle Überlegenheit des Ankersystems könne nicht festgestellt werden. Die vorgelegte Stellungnahme des BVASK entspreche der niedrigsten Evidenzklasse IV. Den angeführten Vorteilen der Methode stünden Nachteile wie “hohe Lernkurve, Knorpelschäden, welche bei Fehlplatzierung eines Ankers und anschließender Entfernung entstehen können sowie das Risiko von Schmerzen oder einer ineffektiven Refixation bei zu kurzer oder zu langer Pfeillänge oder wenn der Anker nicht tief genug in die Meniskusoberfläche eingebracht ist” gegenüber.
Das Urteil des SG Stuttgart steht im deutlichen Widerspruch zu einer früheren Entscheidung des SG Kiel vom 10.2.2015 (S 2 Ka 8/14). Hier hatte die Krankenkasse auf Basis eines MDK-Gutachtens die medizinische Notwendigkeit von Fast-Fix-Ankernahtsystemen bei einer arthroskopischen Innenmeniskusrefixation verneint, da eine Langzeitstudie fehle und eine medizinische Überlegenheit nicht belegt sei. Außerdem bezweifelte die Krankenkasse hier noch den generellen Anspruch auf Sachkostenerstattung. Das SG Kiel urteilte im Sinne des klagenden MVZ. Die Zulässigkeit der Geltendmachung von Sachkosten ergebe sich aus den Ziffern 7.3 und 7.4 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM i. V. m. § 44 Abs. 5 des BMV-Ä und § 9 Abs. 5 AOP-Vertrag. Die Verwendung des Meniskusnahtsystems wurde als wirtschaftlich, ausreichend und zweckmäßig gemäß § 12 Abs. 1 SGB V angesehen, da sie den Erhalt des Meniskus sichere und die Ausrissfestigkeit gegenüber der herkömmlichen Nahtmethode nicht verschlechtere. Die Methode entspreche auch dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft, was sich aus einer klägerseitig vorgelegten gemeinsamen Stellungnahme von BVASK, BDC, AGA und DGOU entnehmen lasse. Die Verwendung des Ankersystems erspare dem Versicherten eine Gegeninzision in der Kniekehle mit Gefahr der Verletzung von Nerven, ermögliche eine ambulante OP, verkürze die Erholungs- und Nachbehandlungszeit. Die Gefahr des aktuellen Urteils aus Stuttgart liegt nun darin, dass Kostenträger in einzelnen KV-bereichen die Sachkostenerstattung für Meniskusnahtsysteme bei ambulanten Operationen verweigern können. Das Urteil ist weder für den BVOU, den BVASK, das Komitee Standespolitik der AGA, die DGOU noch die GOTS verständlich. Es steht im Widerspruch zur aktuellen S2 – Leitlinie “Meniskuserkrankungen” der AWMF1. Hierin heißt es “Es besteht bei der inside-out und outside-in Techniken das Risiko der Verletzung von neurovaskulären Strukturen [Anderson 20092, Jurist 19893]. Daher empfiehlt es sich im Hinterhorn- und Intermediärbereich die Nutzung von all-inside Nahttechniken mit speziell dafür entwickelten Nahtankersystemen.” Im Urteil des SG Stuttgart wurde offenkundig nicht erkannt, dass die Alternative zu der von der Klinik durchgeführten Operation eine offene Knieoperation wäre und die im Urteil aufgeführten Nachteile Meniskusrefixationsinstrumente der 2. Generation betreffen. In einem Kommentar hat sich damit auch PD Dr. Ralf Müller-Rath, 1. Vorsitzender des BVASK, in der Zeitschrift Arthroskopie auseinandergesetzt und kommt zum Schluss, dass das Gericht in der falschen Annahme geurteilt habe, es gäbe eine arthroskopische Alternative unter ausschließlicher Verwendung von Nähten, welche einem Meniskus-Naht-Implantatsystem gleichwertig und damit wirtschaftlicher sei.
Wie wird es weiter gehen? Das SG Stuttgart hat Berufung gegen das Urteil nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung musste durch die klagende Klinik nun erst beim zuständigen Landessozialgericht beantragt werden. Falls eine Berufung zugelassen wird, kann eine endgültige Entscheidung mehrere Jahre dauern. In dieser Zeit agieren ambulante Operateure bei der Verwendung von Meniskusnahtsystemen weiter in Rechtsunsicherheit und haben Regresse zu fürchten. Der vorliegende Fall zeigt, dass das schnelle Bestreiten des Klagewegs vor dem Sozialgericht ohne das forcierte Suchen nach einvernehmlichen Lösungen unter Einschaltung der Berufsverbände und der KV nicht immer der geschickteste Weg bei Fällen mit weitergehender Bedeutung ist. Die beteiligten Verbände haben das Thema jedoch gemeinsam weiter in Bearbeitung. Eine aktuelle wissenschaftliche Stellungnahme zum Stand der Technik der arthroskopischen Meniskushinterhornrekonstuktion (Stand 4/2019) wurde gemeinsam von Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA), Deutscher Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Deutscher Kniegesellschaft (DKG) und Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS)5 publiziert. Darin plädieren diese für die Forderung der Kostenerstattung moderner Meniskus-Naht-Implantatsysteme. Auch der BVOU schließt sich dieser Forderung an. Für den BOVU ist Vorstandsmitglied Dr. Helmut Weinhart an Gesprächen mit der KBV beteiligt. Bis zu endgültiger Rechtsprechung wird den BVOU-Landesverbänden empfohlen, auf Landesebene Konsenslösungen zu diesem Thema mit den jeweiligen KVen und regional relevanten Kostenträgern herbeizuführen. Eine handhabbare Kompromisslösung könnte eine Art “Positivliste” erstattungsfähiger Meniskusnahtsysteme mit wirtschaftlich akzeptablen, erstattungsfähigen Höchstpreisen sein. Dahingehende Gespräche laufen bereits in einigen KV-Bereichen.
Dr. Karsten Braun, LL. M. BVOU-Bezirksvorsitzender Heilbronn-Franken