Die derzeitige Vergütungsstruktur wird von den in der Begutachtung tätigen Kolleginnen und Kollegen als in jeglicher Hinsicht unangemessen angesehen. Dies gilt zum einen in Bezug auf die Vergütung der ärztlichen Leistungen für das freie Gutachten an sich, dann aber auch für die seit über 10 Jahren nicht angepassten Schreibgebühren.
Der BVOU unter Initiative von Dr. med. Stefan Middeldorf (Chefarzt der Orthopädischen Klinik, Schön Klinik Bad Staffelstein) regt an, in eine Überarbeitung der Vergütung einzutreten. Der BVOU möchte einen Verhandlungsprozess anstoßen. Maßgeblich innerhalb unseres Vorstandes wird auch Dr. Tobias Riedel, selbst gutachterlich tätig für verschiedene Deutsche Rentenversicherungen, Ansprechpartner sein.
Herr Dr. Middeldorf, was ist der Anlass, sich an die DRV zu wenden?
Dr. med. Stefan Middeldorf: In den vergangenen Monaten sind wir vermehrt von Mitgliedern des Berufsverbandes, die gutachterlich tätig sind, auf die als unangemessen und wenig wertschätzende Vergütung angesehen der Vergütung der sozialmedizinischen Gutachten, die im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung erstellt werden, angesprochen worden. Grund hier war auch die allgemeine Teuerung, die sich natürlich auch auf die Erstellung von Gutachten und die dafür bestehenden Voraussetzungen niederschlägt. Die angebotenen Vergütungsanpassungen wurden in diesem Zusammenhang als in höchsten Maße unangemessen empfunden. Dabei ist diese Problematik bereits längerfristig bekannt, auch von Seiten der Deutschen Rentenversicherung, sowohl Bund, als auch Regional, erhielten wir den klaren Hinweis, dass es zunehmend schwieriger sei, geeignete Gutachter zu finden, die unter Berücksichtigung der derzeit bestehenden finanziellen Rahmenbedingungen noch tätig werden wollen. Gleichzeitig sei in diesem Zusammenhang festzustellen, dass die Qualität der Gutachten zunehmend abnehme. Das ist auch nachvollziehbar, denn für deutlich unter 300 € brutto, der Basissatz liegt bei um 228 €, lässt sich ein auch gerichtsfestes und fundiertes fachärztliche Sachverständigengutachten nun wirklich nicht erstellen, es sei denn als Liebhaberei oder Hobby.
Gemäß Ausführungen Bd. 21 DRV-Schriften aus dem Jahr 2018 leisten die ärztlicherseits erstellten sozialmedizinischen Gutachten im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags des genannten Auftraggebers. Die erstellten Gutachten würden in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielen bei der sorgfältigen Sammlung und fachlichen Bewertung von Informationen und Sachverhalten, auch, um die individuellen Bedürfnisse und Problemlagen der Versicherten zu erfassen, zu berücksichtigen und gleichzeitig eine Gleichbehandlung aller Versicherten zu gewährleisten.
Die Hinweise zur Begutachtung für die Ersteller, als Paper Print und im Internet einsehbar, nehmen deutlich mehr als 60 Seiten ein und unterstreichen damit nochmals die Bedeutung des beauftragten Sachverständigengutachtens.
Bei gewissenhafter Erstellung des freien ärztlichen Gutachtens wird der Umfang in der Regel nicht unter 15-20 Seiten liegen können, eher mehr.
Bei der Ausfertigung wird zum einen das freie ärztliche Gutachten erstellt, dann noch ein weiterer Gutachten-Anteil als tabellarische Ergänzung und Darstellung zu Aspekten der gestellten Diagnosen, zum qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens, zur Wegefähigkeit, das Formular S0080-00.
Etwaig für erforderlich gehaltene und durchgeführte Diagnostik, z. B. Arthrosonografie oder Röntgenuntersuchungen, sind in der im weiteren noch zu beschreibenden Kostenkalkulation integriert, werden nicht extra vergütet.
Was möchten Sie bezwecken?
Dr. med. Stefan Middeldorf: Zunächst wollen wir mit unserer Initiative Transparenz schaffen in Bezug auf den bestehenden Arbeitsumfang und der derzeit angebotenen Vergütung. Zudem wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass es zum einen der Deutschen Rentenversicherung gelingt, auch in Zukunft kompetente ärztliche Gutachterin und Gutachter als Auftragnehmer gewinnen, auch ist Begutachtung für viele unserer Kolleginnen und Kollegen eine interessanter und herausfordernder Arbeitsinhalt im Rahmen des Spektrums unserer ärztlichen Tätigkeiten.
Die Vergütung der ärztlichen Leistungen für die gesetzliche Rentenversicherung werden in der Regel verhandelt zwischen der Bundesärztekammer und der Deutschen Rentenversicherung selbst. Nach unserem Kenntnisstand kam es jedoch bei den letzten Verhandlungen nicht zu einer Einigung, sodass die Tarife einseitig festgelegt wurden.
In der Anlage zum Rundschreiben vom 18.10.2022, Aktenzeichen: 0450/00-40-24-30-0 0,00-40-24-50-00, finden sich die Empfehlungen zur Vergütung ärztlicher Leistungen (Gutachten und Befundberichte) für die Gesetzliche Rentenversicherung. Bei § 1 (1) 4. findet sich der Bereich Orthopädie/(Unfall-) Chirurgie/Physikalische und rehabilitative Medizin mit einem hinterlegten Wert ab dem 1.1.2023 in Euro von 228,63.
Dabei findet sich in Bezug auf die insgesamt aufgeführten 14 Fachbereiche eine Spreizung der Vergütung zwischen 144,63 € (Gynäkologie) und 481,63 € (Rheumatologie; Berücksichtigt wird hier das umfängliche Labor).
Nimmt die von Seiten der DRV vorgelegte Aktenlage mehr als 50 Seiten ein, so lässt sich der genannte Kostensatz erhöhen um 29,14 €.
Als Schreibgebühr können pro Seite 3,50 € zusätzlich angesetzt werden. Ebenso ergänzt sich das Porto für den Versand.
Die oben genannte Vergütung in Höhe von 228,63 € berücksichtigt in diesem Zusammenhang eine Erhöhung des Honorar (gemäß Veröffentlichung) um 3,6 % (nachgeprüft 1,55%) für die vergangenen 2 Jahre, wobei sich dies aus Sicht der DRV begründet mit dem Anstieg des Verbraucherpreisindex. Betrachtet man die Entwicklung der Honorierung von 2013 (213 Euro) bis 2023 (228,63 Euro), so ergibt sich eine Steigerung von 7,35% , die Löhne sind hingegen bundesweit in diesem Zeitraum gestiegen um 28,5%.
Bereits langjährig für die DRV als Gutachter tätige Kolleginnen und Kollegen beschreiben, dass sich die Preisentwicklung für die genannten Gutachten in den vergangenen 10 Jahren deutlich in negativer Hinsicht abgekoppelt hat von der Preisentwicklung an sich und insbesondere auch der Lohnkosten-Entwicklung. Auch haben sich beispielsweise in den vergangenen 10 Jahren die Vergütung der Schreib-Kosten pro Seite nicht verändert. Bei den Berufsgenossenschaften wurde im vergangenen Jahr dieser Satz auf 4,73 € angehoben.
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen einer angestellten Tätigkeit, z. B. als Oberärztin oder Oberarzt einer Rehabilitationsklinik, entsprechende Gutachten erstellen, meist gegenüber dem Arbeitgeber eine Abgabe für die Nutzung von Ressourcen (Raum, Personal) in Höhe von meist 30 % leisten müssen.
Nach einer aktuellen Abfrage bei den ALKOU-Mitgliedern und auch innerhalb des Vorstandes des Berufsverbandes, wurde deutlich, dass der weit überwiegende Anteil der Kolleginnen und Kollegen, die im Bereich der Begutachtung aktiv sind, den Bereich der Begutachtung für die Deutsche Rentenversicherung meiden, und dies nicht aus Desinteresse, sondern aufgrund der Einschätzung, dass die Vergütung als nicht angemessen, nicht kostendeckend und auch in Bezug auf andere Auftraggeber der Begutachtung nicht konkurrenzfähig angesehen werden.
Welchen Erfolg erhoffen Sie sich von Ihrer Initiative bzw. den Verhandlungen?
Dr. med. Stefan Middeldorf: Die Erstellung von ärztlichen Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung ist, auch und gerade unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Vorbemerkungen, Forderungen zur inhaltlichen Struktur und Qualitätsanspruch des Auftraggeber, eine Aufgabe für in der Sozialmedizin und ihrem Fachgebiet erfahrene ärztliche Kolleginnen und Kollegen. Da die entsprechenden Gutachten von Seiten des Auftraggeber DRV in der Regel ausgelöst werden, wenn der Versicherte einen Antrag auf Erwerbsminderung gestellt hat, wird deutlich, dass diese Gutachten auch gerichtsfest sein müssen, was die erforderliche Sorgfalt, Abgleich mit gutachtlichen Standards, Plausibilität und Konsistenz angeht.
Die derzeitige Vergütungsstruktur wird von den in der Begutachtung tätigen Kolleginnen und Kollegen als in jeglicher Hinsicht unangemessen angesehen. Dies gilt zum einen in Bezug auf die Vergütung der ärztlichen Leistungen für das freie Gutachten an sich, dann aber auch für die seit über 10 Jahren nicht angepassten Schreibgebühren.
Nach interner Kalkulation kommen wir zu der Einschätzung, dass eine Vergütung von mindestens vergleichbar dem UV GOÄ-Satz Ziffer 161 (Begutachtung für die Gesetzliche Unfallversicherung; Ziffer 161 aktuell: 598,50 Euro plus Porto) als angemessen anzusehen ist.
Der Berufsverband der Ärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, als berufspolitischer Vertreter für die gutachterlich Tätigen, hier in meiner Person als Vorsitzender des Referat Rehabilitation/ALKOU , regt gegenüber der Deutschen Rentenversicherung an, in eine Überarbeitung der Vergütung einzutreten. Die in den vergangenen Jahren erfolgten Anpassungen im Umfang des sogenannten Verbraucherpreisindex entsprechen nicht der bundesdeutschen Realität in Bezug auf die Lohnkosten-Entwicklung und sind darüber hinaus derzeit auch kein Zeichen der Wertschätzung für eine ärztliche Aufgabe, die nur mit Engagement, Kompetenz und Erfahrung zu einem qualitativ hochwertigen und den Ansprüchen des Auftraggebers genügenden Ergebnis führt.