Berlin – Zwischen dem 27. und 29. Dezember bleiben von Bayern bis Schleswig-Holstein tausende Hausarzt- und Facharztpraxen geschlossen. Die Praxen protestieren unter dem Motto „Praxis in Not“ gegen die Gesundheitspolitik von SPD-Minister Karl Lauterbach.
Inklusive der Feiertage sperren die Praxen diesmal in Summe ganze 10 Tage zu. Damit erreicht der seit über 15 Monaten anhaltende Protest der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eine neue Dimension.
Zahlreiche Berufsverbände, darunter der Virchowbund, hatten gemeinsam zu den Warn-Schließungen aufgerufen. Die Kampagne „Praxis in Not“ wird aktuell von 23 Verbänden unterstützt, darunter auch der Verband der medizinischen Fachberufe, der die Medizinischen Fachangestellten (MFA) und Arzthelferinnen vertritt.
Die Kernforderungen von „Praxis in Not“ lauten:
- Als erster Sofortschritt: Wiedereinführung der Neupatientenregelung
- Schluss mit der Budgetierung in allen Fachgruppen
- Eine Krankenhausreform, die das Ambulantisierungspotential voll statt einseitig ausschöpft
- Mindestens 5.000 Medizinstudienplätze mehr
- Eine neue gesetzliche Preisfindung bei den Finanzierungsverhandlungen zum Orientierungspunktwert (OPW), welche die Kostenentwicklung durch Inflation und Tarifabschlüsse unmittelbar statt mit zwei Jahren Verzögerung abbildet
- Ein klares Bekenntnis von Politik und Kassen zur Freiberuflichkeit der Ärzte in Wort und Tat sowie zum Erhalt der ambulanten dezentralen Strukturen und damit der freien Arztwahl für Patienten
Praxen sind überlastet
„Wo man auch hinblickt: Beinahe jede Arztpraxis ist aktuell massiv überlastet. Besonders bitter dabei ist, dass die meisten schon den ‚Zero Pay Day‘ erreicht haben, also rechnerisch seit Mitte November keinen Cent für die Behandlung von Kassenpatienten erhalten“, erklärt Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes.
Die systematische Unterfinanzierung verschärft den Fachkräftemangel in den Arztpraxen. Die Gehaltsentwicklung der MFA in den Praxen hinkt jener des Klinikpersonals weit hinterher, denn anders als die Krankenhäuser erhalten die Arztpraxen Tarifsteigerungen erst mit mehreren Jahren Verzögerung von den Krankenkassen refinanziert. Auch der Corona-Bonus wurde nur für Kliniken gewährt, nicht für Praxen – obwohl dort 19 von 20 Corona-Patienten versorgt wurden.
Mit dem Protest möchten die Praxen einerseits auf diese Misere hinweisen. Andererseits sollen die zusätzlichen freien Tage zum Jahresende ein positives Signal an die MFA sein, um sie trotz der täglichen Belastung und der fehlenden Wertschätzung aus der Politik zu motivieren.
Wartelisten drohen
„Arztpraxen sind systemrelevant. Wir haben mit den Praxen ein weltweit einzigartiges Netz aus rund 100.000 dezentralen, flexiblen Vor-Ort-Einrichtungen. Diese Versorgungsstruktur soll nun ohne Not zerstört werden. Dagegen wehren wir uns“, sagt der Virchowbund-Vorsitzende Dr. Heinrich. „Wenn Medizin in Zukunft nur noch in Großstrukturen unter staatlicher Aufsicht stattfinden soll, ist das Recht der Patienten auf freie Arztwahl tot. Karl Lauterbach sollte den Bürgerinnen und Bürgern auch ehrlich sagen, dass ein zentral gelenktes System wie in Großbritannien unweigerlich zu massiv längeren Wartezeiten führt.“
Die Praxisschließungen sind ein Vorgeschmack auf die Zustände, die unter der aktuellen Politik drohen. Noch ist allerdings für die medizinische Versorgung gesorgt: Geschlossene Praxen benennen Vertreter für dringende Notfälle. An den Feiertagen können Patientinnen und Patienten sich an den ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116 117 wenden. In einigen Bundesländern haben die Kassenärztlichen Vereinigungen diesen Bereitschaftsdienst auch für die Zeit der Proteste eingerichtet.
Quelle: Virchowbund