Berlin – Zum Jahreswechsel haben zahlreiche Akteure im Gesundheitswesen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin reagiert. Der Erste Senat hatte am 19. Dezember die Vorschriften als teilweise unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und Nachbesserungen bis Ende 2019 angemahnt. Gegen die Abiturnote als Eignungskriterium für ein Medizinstudium bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken – sofern es mindestens ein weiteres Kriterium gibt. Den Hochschulen sind Spielräume bei der Studienbewerberauswahl zuzubilligen – aber sie müssen standardisiert, strukturiert und nachvollziehbar sein. Dass der Gesetzgeber für die Auswahlverfahren keine hinreichend breit angelegten Eignungskriterien vorgebe, sei nicht verfassungskonform. Außerdem kritisierte das Gericht den Verzicht darauf, die Wartedauer in der Wartezeitquote zu beschränken.
Montgomery: Patienten brauchen nicht nur Spitzenforscher
„Das Urteil beinhaltet eine heftige Ohrfeige für eine kleinstaatliche Bildungspolitik, die es nicht schafft, das Abitur bundesweit chancengleich und chancengerecht zu gewährleisten”, urteilte Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Er sieht durch das Urteil auch den Vorschlag Kammer bestätigt, ein bundesweites Assessment durchzuführen: „Unsere Patienten brauchen nicht nur Spitzenforscher. Sie brauchen auch gute Ärzte mit sozialen Kompetenzen und der Bereitschaft, aufs Land zu gehen.“
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßte das Urteil. „Es berücksichtigt, dass es neben einer guten Note – die weiterhin wichtig bleiben wird – auch weitere und andere Faktoren gibt, die zeigen, ob ein Studienplatzbewerber auch ein guter Arzt sein könnte“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen.
Der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, forderte einen Ausbau der Studienplatzkapazitäten – und eine Vorbereitungszeit für Medizinstudenten in der Versorgung von mindestens sechs Monaten: „Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen, und es werden somit wieder mehr Ärzte in der kurativen Versorgung arbeiten.“
Marburger Bund: Mehr Studienplätze – Ersatzbedarf wächst
Wie die Bundesärztekammer nutzte auch der Marburger Bund (MB) das Urteil, um eine Ausweitung der Studienplatzkapazitäten zu fordern: „Die Anzahl der Medizinstudienplätze hindert durch die Begrenzung auf ein Niveau, wie es 1990 in der alten Bundesrepublik bestand, viele geeignete Bewerber an der Aufnahme ihres Wunschstudiums“, sagte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des MB. „Auch deshalb brauchen wir mindestens zehn Prozent mehr Studienplätze.“ Ein solcher Kapazitätsausbau sei auch versorgungspolitisch geboten: „Der Ersatzbedarf an Ärzten wächst von Jahr zu Jahr – nicht nur wegen des allgemeinen demografischen Wandels, sondern vor allem auch wegen der Ruhestandswelle, die auf die Ärzteschaft zurollt, wenn die Babyboomer-Generation in den nächsten zehn bis 15 Jahren aus dem Beruf ausscheidet.“
Chancen auf einen Medizinstudienplatz sind drastisch gesunken
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit zwei Vorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen befasst, wie bereits einer Pressemitteilung vom 8. August 2017 zu entnehmen war. Im Kern ging es um das Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium im Rahmen bestehender Ausbildungsplatzkapazitäten. Weiter hieß es: „Wegen der drastisch angestiegenen Zahl von Studienplatzbewerbern für Humanmedizin bei kaum gestiegener Zahl der verfügbaren Studienplätze hat sich die Kapazitätssituation zunehmend verschärft.“ Während zum Wintersemester 1994/95 noch jeder zweite Bewerber mit einem Studienplatz rechnen durfte, konnte dies 20 Jahre später im Wintersemester 2014/2015 fast nur noch jeder fünfte. Und: Die Dauer der Wartezeit für einen Studienplatz in der Wartezeitquote beträgt mittlerweile 15 Semester.