Berlin – Patienten, die in Deutschland ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk benötigen, werden gut versorgt. Doch die Anforderungen an Endoprothesen steigen – teilweise durch das zunehmende Alter der Patienten, teilweise durch hohe Anforderungen Jüngerer an ihr Ersatzgelenk. Das haben Experten gestern bei der Vorlage des „Weißbuch Gelenkersatz“ betont. In dieser Analyse des IGES-Institut wird die Versorgungssituation bei endoprothetischen Hüft- und Knieeingriffen in Deutschland dargestellt. Auftraggeber war der Bundesverband Medizintechnologie.
Oberschenkelhalsbrüche sind häufiger OP-Grund
Rund 220.000 Menschen haben demnach im Jahr 2014 ein neues Hüftgelenk, rund 150.000 ein neues Kniegelenk erhalten. Die Operationshäufigkeit hat bei den über 70-Jährigen seit 2007 nicht zugenommen. „Jährlich erhalten ein Prozent der über 70-Jährigen ein neues Hüftgelenk und rund 0,7 Prozent einen Kniegelenkersatz“, erläuterte IGES-Leiter Prof. Bertram Häussler. 80 Prozent der Ersteingriffe an der Hüfte und rund 96 Prozent derjenigen am Knie gehen auf (altersbedingten) Gelenkverschleiß zurück. Zweithäufigster Grund der Hüft-OP seien in 13 Prozent der Fälle Oberschenkelhalsbrüche.
Das IGES-Institut hat für sein Weißbuch unterschiedliche Daten genutzt, unter anderem des Statistischen Bundesamts, des Aqua-Instituts sowie Angaben aus einer Vielzahl von Studien. Zusätzlich wurden mehrere Experten einbezogen. Häussler betonte jedoch, vom Endoprothesen-Register erwarte man sich demnächst noch bessere Daten.
Auf realistische Erwartungen der Patienten hinwirken
Aus den vorhandenen Quellen schließt IGES, dass die Mehrzahl der operierten Patienten langfristig mit dem Ergebnis zufrieden ist und sich ihre funktionellen Beschwerden deutlich bessern. Doch die angeführten Studien zeigen zugleich, dass beispielsweise neun Monate nach einer Operation immer nach zwei Drittel über Schmerzen beim Gehen klagen. Man müsse Patienten gut aufklären „und ihre Erwartungen mit den Möglichkeiten der jeweiligen Verfahren abgleichen“, sagte Prof. Heiko Reichel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Das gelte besonders für jüngere Patienten, „die glauben, sie könnten mit der Prothese jeden Sport und jeden Beruf ausüben“.
Daten der externen Qualitätssicherung zeigen nach Angaben von IGES, dass chirurgische Komplikationen während des Klinikaufenthalts bei Ersteingriffen seit Jahren abnehmen. Sie kommen bei 2,7 Prozent der Hüft- und bei 1,9 Prozent der Knieersatzoperationen vor. Eine angemessene Indikation sei 2014 für rund 96 Prozent dieser Eingriffe dokumentiert worden.
Weniger Re-Operationen wegen Abrieb und Lockerung
Reichel wertete es als großen Erfolg, dass sich die Rate neuerlicher Operationen wegen Abrieb und Lockerung in den letzten Jahren nahezu halbiert habe. Weitere Fortschritte seien wahrscheinlich nur noch durch eine verbesserte Struktur- und Prozessqualität zu erzielen. Innovative Produkte haben nach seinen Worten in den letzten Jahren häufig die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Erkenntnisse für die Versorgung erhofft sich Reichel durch das freiwillige Projekt EndoCert, an dem sich zurzeit bereits 45 Kliniken beteiligen, sowie das 2013 begonnene bundesweite Endoprothesen-Register. Bei EndoCert handelt es sich um eine Initiative zur Zertifizierung medizinischer Einrichtungen, die Gelenkersatzeingriffe vornehmen.
Prof. Florian Gebhard, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, unterstrich die Bedeutung der Sturzprävention, um Oberschenkelhalsbrüche zu vermeiden. Dennoch werde man zukünftig wohl immer mehr ältere und multimorbide Patienten versorgen. „Für sie benötigen wir spezielle alterstraumatologische Zentren mit integrierten Behandlungskonzepten zwischen chirurgischen und geriatrischen Abteilungen.“
Sabine Rieser – Leiterin Kommunikation und Pressearbeit