In der Behandlung von Fingerfrakturen kommt trotz einer großen Auswahl moderner Implantate und verfeinerter Operationstechnik der konservativen Behandlung nach wie vor eine große Bedeutung zu.
Es gilt, die komplexe funktionelle Anatomie zu berücksichtigen und die Weichteile bestmöglich zu schonen. Das Hauptziel der Therapie ist die Wiederherstellung der Funktion. Die Schonung des Sehnengleitgewebes hat Priorität gegenüber einer absolut anatomischen Rekonstruktion und größtmöglicher Stabilität. Nur bei hoher Compliance des gut informierten Patienten lässt sich ein gutes funktionelles Ergebnis erzielen. Die Indikationsstellung muss daher individuell erfolgen und die Möglichkeiten der konservativen und operativen Therapie mit dem Ziel der frühfunktionellen Behandlung verknüpfen.
Knöcherne Verletzungen der Phalangen inklusive der Metakarpalia machen etwa 10% aller Frakturen aus, werden aber nicht selten als Bagatellverletzung abgetan und nicht adäquat therapiert. Ca. 25% aller Fingergelenkeinsteifungen sind ursächlich auf eine Fraktur zurückzuführen. Ursächlich sind in der Mehrzahl Arbeits- oder Sportunfälle, so dass überwiegend jüngere Männer betroffen sind.
Anders als die großen Röhrenknochen sind die Fingerknochen nicht von Muskulatur und somit einem kräftigen Weichteilmantel umschlossen. An den Fingern gibt es lediglich einen dünnen Weichteilmantel, der mit Gefäßen, Nerven, Sehnen, Sehnengleitgewebe und Bändern auf engstem Raum eine Vielzahl funktioneller Strukturen enthält.
Klinische und bildgebende Diagnostik
Neben inspektorisch auffälliger Schwellung und Fehlstellung fällt klinisch meist eine schmerzhafte Funktionseinschränkung auf, die allerdings insbesondere bei Gelenkfrakturen auch lediglich diskret ausgeprägt sein kann, was eine Fehleinschätzung dieser Verletzungen begünstigt. Frakturen der Endgliedbasis sind meist knöcherne Strecksehnenausrisse und fallen klinisch durch ein hängendes Endglied nach einem Anpralltrauma auf. Frakturen der Mittel- und Grundglieder führen neben der schmerzhaften Schwellung häufig zu typischen Achsabweichungen, die bereits bei der Inspektion erkennbar sind. Schwieriger zu detektieren, dabei aber funktionell ungleich relevanter ist die frakturbedingte Rotationsabweichung. (Hinweis: das Wort „Rotationsfehler“ sollte in der Dokumentation vermieden werden, da es einen „Fehler“ des Behandlers suggerieren könnte.)
Basis einer exakten Frakturdiagnostik ist die konventionelle Röntgenaufnahme. Im Fingerbereich gehört hierzu eine Aufnahme im dorsopalmaren und im streng seitlichen Strahlengang, wobei jeder verletzte Finger einzeln in streng seitlicher Projektion abzubilden ist. In Einzelfällen kann zur Einschätzung des Ausmaßes einer Gelenkverletzung bzw. zur Operationsplanung eine Computertomographie mit sagittaler und coronarer Rekonstruktion hilfreich sein.
Grundzüge der konservativen Therapie
Ziel der Behandlung von Fingerfrakturen ist die knöcherne Heilung ohne relevanten Funktionsverlust. Die Rolle des Behandlers ist es, Frakturstabilität in adäquater Stellung unter Erhalt einer guten Gleitfähigkeit des Weichgewebes herzustellen. Hierbei ist eine gewisse Frakturdislokation oftmals zu akzeptieren, da diese die Funktion oft weniger beeinträchtigt, als eine chirurgisch erzielte, perfekte Anatomie mit entsprechender Kompromittierung des Weichgewebes.
Prinzipiell sind alle stabilen Frakturen ohne Rotationsabweichung oder Dislokation in der Frontalebene für eine konservative Therapie geeignet. Ebenso können Rotationabweichungen oder Dislokationen, die in Leitungsanästhesie reponiert und mit einer geeigneten Verbandanordnung stabil retiniert werden können, konservativ therapiert werden. Bei fraglich instabilen Situationen kann zunächst ein konservativer Behandlungsversuch unter radiologischer Verlaufskontrolle unternommen werden. Bei sekundärer Dislokation sollte dann aber frühzeitig eine operative Intervention erfolgen. Für die initiale Ruhigstellung kommen dorsale oder palmare Schienen aus Gipsbinden oder thermoplastischem Material zur Anwendung, die die unverletzten Abschnitte der Hand nicht mit einschließen sollten. An den Phalangen haben sich kurze Stack’sche Fingerschienen für das DIP- oder PIP-Gelenk bewährt. Grundgelenke (MCP) sollten grundsätzlich in 90° Beugestellung unter Aufspannung der Seitenbänder in der sog. „intrinsic-Plus“- Stellung immobilisiert werden (Abb. 1b).
Hierdurch bleibt die Länge der Bänder und damit die Beugefähigkeit bis zur Gipsentfernung erhalten. Insgesamt bedürfen Frakturen der Finger- und Mittelhandknochen einer kürzeren Ruhigstellungszeit als allgemein angenommen. Im Röntgenbild sind die Frakturen noch lange sichtbar, auch wenn durch die Kallusbildung im Allgemeinen schon bereits nach drei Wochen eine ausreichende Stabilität besteht. Klinisches Entscheidungsmerkmal sollte die Druckschmerzhaftigkeit im Frakturbereich (Kallusdruckschmerz) sein. Sobald diese verschwunden ist, kann in der Regel funktionell weiterbehandelt werden. Eine gute Übergangslösung stellt hier das Buddy-Taping der Finger (Abb. 1a & b) dar.
Grundzüge der operativen Therapie
Bei Frakturen der Finger gibt es durchaus Situationen, bei denen zum Erhalt der Funktion eine „dringende“ Operationsindikation gestellt werden sollte. Es sind dies die instabilen und irreponiblen Frakturen, Frakturen mit begleitendem Weichteilschaden, instabile Serienfrakturen, dislozierte Gelenkverletzungen, irreponible Frakturen im Bereich der Wachstumsfugen und Frakturen mit Rotationsabweichung. Damit die Sehnen und insbesondere ihre Gleitgewebe frühzeitig beübt werden können, ist die stabile osteosynthetische Versorgung instabiler Frakturen hierbei eine Grundvoraussetzung. Für die operative Frakturbehandlung an der Hand stehen heute eine Reihe unterschiedlicher Osteosynthesetechniken- und materialien zur Verfügung. Moderne Implantate erlauben stabile Rekonstruktionen unter besonderer Berücksichtigung der komplizierten anatomischen Verhältnisse an der Hand. Die verschiedenen Osteosyntheseverfahren sollten dabei nicht nur operativ, sondern auch indikatorisch sicher beherrscht werden.
Allerdings gibt es in der Literatur keine ausreichende Evidenz dafür, welche Implantate und Methoden in der jeweiligen Situation tatsächlich empfehlenswert sind. Bei Frakturen der Phalangen spielen möglichst perkutan eingebrachte Schrauben und K-Drähte (Abb. 2) und externe Fixateure eine tragende Rolle in der operativen Behandlung. Bei Verwendung der zunehmend angebotenen, anatomisch vorgeformten, niedrig-profiligen, winkelstabilen Platten, kann es auch bei deren sachgerechter Anwendung aufgrund der geschilderten Weichteilsituation zu erheblichen Verklebungen und Funktionsstörungen kommen (Abb. 3). Daher können Plattenosteosynthesen an den Fingerknochen nur im Ausnahmefall empfohlen werden.
Zusammenfassend ist eine interne oder externe Osteosynthese zur Frakturbehandlung
immer dann sinnvoll, wenn davon ausgegangen werden muss, dass die meist risikoärmere konservative Behandlung nicht zum gewünschten Ergebnis führen wird. Ziel der operativen Stabilisierung von Fingerfrakturen sollte eine möglichst frühe Übungsstabilität sein.
Spezielle Frakturen der Phalangen Endgliedfrakturen
An den Endphalangen werden Nagelkranzfrakturen, Schaftfrakturen und Frakturen mit Gelenkbeteiligung unterschieden. Undislozierte Nagelkranzfrakturen und Schaftfrakturen heilen meist problemlos in einer Stack’schen Fingerschiene innerhalb weniger Wochen ab. Besteht kein lokaler Druckschmerz mehr, kann die Schiene weggelassen und funktionell weiterbehandelt werden. Subunguale Hämatome sollten zur Schmerzbehandlung am Unfalltag durch Trepanation des Fingernagels entlastet werden. Verschobene Schaftfrakturen oder offene Frakturen können durch einen axialen K-Draht ggf. mit temporärer DIP-Arthrodese versorgt werden. Zur Vermeidung von Infektionen sollten die Drähte unter die Haut versenkt und das Endglied zusätzlich durch eine Stack-Schiene ruhiggestellt werden. Bei den Frakturen mit Gelenkbeteiligung handelt es sich meist um knöcherne Strecksehnenausrisse. Die konservative Therapie ist hier meist erfolgreich möglich, wenn in Streckstellung des Endgelenkes in der Stack-Schiene radiologisch eine Fragmentadaptation ohne Subluxation des distalen Hauptfragmentes nach palmar verifiziert werden kann.
Mittelgliedfrakturen
Stabile unverschobene Frakturen der Mittelglieder können in der Regel schienenfrei funktionell behandelt werden. Bei verschobenen Frakturen kann eine Reposition mit anschließender Fixation am Nachbarfinger (Buddy-Tape) für 3–4 Wochen ausreichend
sein.
Instabile und dislozierte Frakturen sollten bevorzugt operativ z. B. mit Kirschnerdrähten oder Schrauben fixiert werden. Schräg- bzw. Torsionsfrakturen werden dabei quer zur Schaftachse, Querfrakturen mittels axial gekreuzter Drähte versorgt. Dislozierte Kondylenfrakturen bedürfen wenn möglich perkutanen Reposition und Zugschraubenosteosynthese unter Schonung des lateralen Kapselbandapparates mit nachfolgender frühfunktioneller Weiterbehandlung. An der Mittelgliedbasis gefährden insbesondere Stauchungsfrakturen die Funktion des Mittelgelenkes. Sie sollten so früh wie möglich funktionell behandelt werden. Hier kann oftmals ein funktionell gutes Remodelling der Gelenkfläche durch eine Extensionsbehandlung im externen Fixateur nach Suzuki erreicht werden. Die sehr häufigen knöchernen Ausrisse der Gelenkkapsel (sog. palmare Platte) werden in Streckstellung (z. B. in einer PIPStack-Schiene) für ein bis max. zwei Wochen immobilisiert und dann funktionell nachbehandelt, um einer langwierigen Beugekontraktur vorzubeugen.
Grundgliedfrakturen
Grundgliedschaftfrakturen lassen sich häufig durch 90 Grad Beugung im MCP- Gelenk durch Zug der Sehnen so ausrichten, dass sie in einer entsprechenden Schiene frühfunktionell zur Ausheilung gebracht werden können. Durch die Anspannung der Streckerhaube in dieser Stellung ergibt sich meist eine gute Retention der Fraktur und die Funktion im DIP- und PIP-Gelenk kann während der gesamten Behandlung freigegeben bleiben. Zwingt eine Rotationsabweichung zur Intervention, so lässt sich diese häufig durch Reposition in Oberst‘sche Leitungsanästhesie mit anschließendem buddy-taping korrigieren. Instabile Schrägfrakturen und Frakturen mit Gelenkbeteiligung sollten operativ behandelt werden. Meist ist eine gedeckte oder halboffene Einrichtung und Stabilisierung durch Zugschrauben oder K-Drähte möglich. Kirschnerdrähte können bei sachgerechter Anwendung zu guten funktionellen Ergebnissen führen, sofern sie nicht länger als 4 Wochen belassen und so platziert werden, dass das Drahtende nicht im Sehnengleitgewebe stört (Abb. 2).
Weiterbehandlung
Oberstes Ziel in der Behandlung von Frakturen an den Phalangen ist die Wiederherstellung bzw. der Erhalt der Funktion. Ruhigstellungen sollten daher nur so kurz wie nötig erfolgen. Der möglichst frühzeitige Beginn einer physiotherapeutischen Behandlung und die darüber hinausgehenden Möglichkeiten speziell handtherapeutisch geschulter Ergotherapeut*innen sollten großzügig eingesetzt werden.
1. Thelen S, Windolf J: Finger- und Mittelhandfrakturen.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2019; 14(05): 495–514
2. Giddins, G: The Nonoperative Management of Hand Fractures
in United Kingdom. Hand Clin 2017 Aug; 33(3): 473–487.