Wien – Zecken sind in der Lage, sich mit ihren Mundwerkzeugen fest in der Haut zu verankern, um so für mehrere Tage Blut zu saugen. Dieser Verankerungsmechanismus funktioniert deshalb so gut, weil er auf einer zementartigen Substanz mit enormen Klebeeigenschaften beruht. Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien wollen diesen „Zecken-Zement“ erstmals erforschen und chemisch nachgebaut für die Biomaterialforschung nutzbar machen. So könnte er künftig zum Beispiel als Gewebekleber in der Orthopädie und Unfallchirurgie zum Einsatz kommen.
„Es ist durchaus vorstellbar, dass es in Zukunft möglich sein wird, aus dieser Substanz einen biologischen Klebstoff für menschliches Gewebe zu machen, mit dem beispielsweise Sehnen und Bänder metallfrei am Knochen verankert werden können“, umreißt Projektleiterin Dr. Sylvia Nürnberger von der Universitätsklink für Unfallchirurgie die Zielsetzung der Forschungen.
Im Rahmen des Projekts untersucht Nürnberger gemeinsam mit Kollegen von der Technischen Universität Wien die Zusammensetzung des natürlichen „Zements“ der Zecken und wie er als Vorlage für neue Gewebekleber dienen könnte. „Die derzeit verwendeten Gewebekleber in der Chirurgie, die etwa bei schweren Hautverletzungen oder Leberrissen verwendet werden, sind teilweise toxisch“, erklärt Nürnberger. Andere Klebstoffe sind wiederum zu schwach. Biologische Alternativen wären deshalb optimal. Das Forschungsprojekt soll dazu beitragen, neue Alternativen und Anwendungen zu bestehenden Klebstoffprodukten für Haut, Knorpel, Bänder oder Sehnen zu finden.
Derzeit werden rund 300 Zecken aus Österreich und deren „Zement“ an der Medizinischen Universität Wien analysiert und untersucht. Dabei stechen die Tiere durch eine hautähnliche Membran, wobei der Klebstoff abgesondert und ausgehärtet wird. Noch in diesem Jahr wollen die Forscher außerdem Riesenzecken in Südafrika für diesen Zweck untersuchen.
Weitere mögliche „Klebstoffspender“
Mit den Haftfäden der Miesmuschel, deren Haftmolekül DOPA sich bereits in der präklinischen Testphase befindet, ist es internationalen Forschergruppen bereits gelungen, alternative Klebstoffe nachzubauen und herzustellen. „Der DOPA-Haftmechanismus ist aber aufgrund der geringen Haftstärke nicht für alle medizinischen Bereiche geeignet, sodass weiterhin Bedarf an neuen Klebstoffen besteht“, erklärt Nürnberger. Weitere potenzielle „Klebstoffspender“ seien zum Beispiel Seegurken, die Klebstofffäden auf ihre Beute schleudern; Salamander-Arten, die blitzschnell aushärtenden Klebstoff aus Hautdrüsen absondern, wenn sie angegriffen werden; Insektenlarven, die Fangfäden produzieren; sowie Krebse, die sogar unter Wasser „kleben“ bleiben.
Das Projekt der Wiener Forscher wird durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert und ist zugleich Teil des europäischen Netzwerks COST (Cooperation in Science and Technology) der Europäischen Union. Das COST-Netzwerk für Bioadhäsion, koordiniert vom Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie in Wien, umfasst derzeit 150 Forscherinnen und Forscher aus 30 Ländern.
Quelle: Medizinische Universität Wien