Berlin – Häufig suchen Menschen in Deutschland auch während der regulären Praxisöffnungszeiten und ohne ärztliche Einweisung Krankenhäuser auf. Dadurch belasten sie stationäre Notaufnahmen in Krankenhäusern und verursachen Kosten in Milliardenhöhe. Die Kosten für ihre Aufnahme und für ihre stationäre Behandlung summieren sich auf knapp 4,8 Millliarden Euro jährlich. Auf diese Summe für die Versorgung von Menschen, denen ein niedergelassener Arzt gut hätte helfen können, kommt das IGES-Institut. Beauftragt war das IGES vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
Die Wissenschaftler untersuchten speziell die Krankenhausfälle, die durch eine effektive und rechtzeitige ambulante Versorgung prinzipiell hätten verhindert werden können. Insgesamt ermittelten sie fast 3,5 Millionen solcher Fälle. Darunter sind fast 1,8 Millionen Fälle, bei denen der Aufnahmeanlass ein Notfall war, dem in der Regel keine Einweisung zugrunde lag.
Viele stationäre Notfälle zu üblichen Praxisöffnungszeiten
„Mehr als die Hälfte aller vermeidbaren Krankenhausfälle werden ohne ärztliche Einweisung aufgenommen. Betrachtet man das Geschehen an Werktagen, entsteht rund die Hälfte ohne ärztliche Einweisung zu den üblichen Praxisöffnungszeiten“, sagte IGES-Geschäftsführer Dr. Martin Albrecht. Den deutlichsten Zustrom müssen Krankenhäuser laut Statistik montags und dienstags verkraften. Überraschenderweise ist die Zahl vermeidbarer Aufnahmen ohne Einweisung an Werktagen zu Praxisöffnungszeiten etwa genauso hoch wie außerhalb der Sprechzeiten.
Die Analysen im Auftrag des ZI zeigen große regionale Unterschiede. In ländlichen Regionen und im Ruhrgebiet ist die Zahl vermeidbarer Krankenhausaufnahmen während der Praxisöffnungszeiten pro Kopf der Bevölkerung größer als in Großstadtzentren. „Dabei ist der Notfallanteil ausgerechnet in Großstadtzentren an Werktagen während der Praxisöffnungszeiten am höchsten. Dies kann jedenfalls nicht durch ein fehlendes Versorgungsangebot vertragsärztlicher Praxen erklärt werden“, erläuterte Albrecht.
Gassen fordert Investitionen in ambulante Medizin
Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dr. Andreas Gassen, forderte, die Notfallversorgung neu auszurichten: „Das Geld könnte wesentlich besser investiert werden, um die moderne ambulante Medizin für ein alterndes Deutschland besser bezahlbar zu machen.“ Durch die Notaufnahmen der Krankenhäuser werde zudem der Grundsatz ambulant vor stationär konterkariert. Gassen plädiert dafür, die Kapazitätsplanung für Vertragsärzte und für Krankenhäuser zusammenzuführen und gemeinsam am Grundsatz ambulant vor stationär auszurichten. Eine Lösung könnten ambulante Anlaufstellen an wichtigen Krankenhausstandorten sein, die es in vielen Bundesländern bereits gibt. Um solche Schlüsselstandorte zu ermitteln, müssten regionale Experten mitentscheiden – vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen.
DKG kritisiert IGES-Studie
“Eine fehlende Einweisung ins Krankenhaus als Maßstab für angeblich nicht berechtigte Notfallversorgung zu nehmen, ist im höchsten Maße rücksichtslos gegenüber den Nöten der Menschen”, erklärte Thomas Reumann, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zu der Studie des IGES-Instituts. Viele Notfälle müssten direkt ins Krankenhaus, weil der Weg über den Arzttermin mit Überweisung “eine absolut weltfremde Fiktion ist”. Es wäre sinnvoller, wenn die Kassenärztliche Bundesvereinigung sich Gedanken machte, wie sie die Notfallversorgung in ihrer Zuständigkeit verbessern könne. Mit den Portalpraxen gebe es nun ein weiteres gesetzlich vorgesehenes Instrument. “Es muss aber auch genutzt werden”, so Reumann.
Quelle: ZI, DKG
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Leserkommentare
Dr. med. J. Eckard Sträßner, Schömberg:
Die Patienten gehen dahin, wo sie Hilfe vermuten. Die Sektorengrenzen einschließlich ihrer Bezahl-Regeln helfen den Patienten nicht. Orthopäden sind eher nicht im Fokus der Not-Hilfe und aufgrund des kleinen Spektrums der ambulant abgedeckten Notfälle eher darauf angewiesen, funktionierende Krankenhäuser mit 24h-Notfallbereitschaft in der Nähe zu haben. Man sollte die Grenzen zwischen KV-Notfallpraxis und Krankenhaus-Notaufnahme gänzlich wegfallen lassen, alles andere liegt quer zum Bedarf der Patienten. Die Bezahl-Regeln, die Finanzierung der Sektorengrenzen, die wir uns derzeit noch leisten, lassen sich sicher auch nachgelagert gestalten.
Dr. med. Stefan Heidt, Deggendorf:
Sobald die Patienten einen Obolus bezahlen müssten für den Arztkontakt evtl. sogar mit Unzeitzuschlägen, würde sich das alles von selbst regeln.
Der kostenfreie Zugang zur medizinischen Versorgung ohne Eigenverantwortung- und -beteiligung des Patienten verführt zu solchen Auswüchsen.
Wo ist denn da der mündige Patient der Politik, der als Partner des Arztes gelten soll und diesen sogar ohne Konsequenzen anschwärzen kann??
Wer (glaubt) Rechte zu haben, muss auch dafür Pflichten in Kauf nehmen.