Wie wichtig ein funktionierendes Notfallsystem ist, hat das schwere Zugunglück mit 10 Toten und mehr als 80 Verletzten, 17 davon schwer (1), bei Bad Aibling in Oberbayern deutlich gemacht. Damit auch in ländlichen Gebieten die optimale Versorgung bei einem Großschadensereignis beim Massenanfall von Verletzten (MANV) gewährleistet ist, haben Unfallchirurgen vor zehn Jahren die Initiative TraumaNetzwerk DGU® ins Leben gerufen.
„Die Zusammenarbeit der Traumazentren in den regionalen Traumanetzwerken, eng abgestimmt mit den Rettungsdiensten, hat sich bereits in der Vergangenheit wiederholt bewährt. Insbesondere bei Massenunfällen wie jetzt dem Zugunglück in Bayern, für den das TraumaNetzwerk München-Oberbayern-Süd zuständig war, können viele Patienten schnell und effizient versorgt werden“, sagt Professor Reinhard Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. (DGU).
Das TraumaNetzwerk München-Oberbayern-Süd besteht aus 4 überregionalen Traumazentren sowie aus 7 regionalen und 15 lokalen Traumazentren. Bei diesem Unglück waren das lokale Traumazentrum Bad Aibling, das regionale Traumazentrum Rosenheim und viele weitere umliegende Traumazentren beteiligt. Die meisten Leicht- und Schwerverletzten wurden nach Angaben des TraumaNetzwerks München-Oberbayern-Süd in die zum Unfallort nächstgelegenen Kliniken gebracht. In allen Kliniken Südostbayerns sowie München wurde der MANV-Fall (Massenanfall von Verletzten) ausgelöst. „Geplante OPs wurden überall abgesagt und damit mehrere Operationssäle, allein in Rosenheim vier, vorgehalten. Ebenso wurden die Patienten auf den Intensivstationen verlegt, um freie Intensivbetten zu schaffen. Zu betonen ist die gute Zusammenarbeit mit den Häusern der Maximalversorgung im Umkreis“, erklärt Professor Gerd Regel, Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wirbelsäulenchirurgie am RoMed Klinikum Rosenheim. „Insgesamt war die Rettung und die Betreuung der Patienten vorbildlich, so war zum Beispiel die Zentrale Notaufnahme im Regionalen Traumazentrum RoMed Klinikum Rosenheim innerhalb von 15 Minuten für den Einsatz leergeräumt.“ Professor Regel fügt hinzu: „Auch die Angehörigen wurden durch Kriseninterventionsteams in den Kliniken bestens betreut. Zusätzlich wurde eine Telefon-Hotline eingerichtet“, erklärt er weiter.
„Das Zugunglück verdeutlicht, dass die teilnehmenden Kliniken des TraumaNetzwerks München-Oberbayern-Süd adäquat vorbereitet waren“, sagt Professor Wolfgang Böcker, Sprecher des TraumaNetzwerks München-Oberbayern-Süd und Leiter der Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). „Durch die vernetzte Versorgungsstruktur konnten die Verletzten schnell auf die Krankenhäuser verteilt und unverzögert versorgt werden. Es verlief lokal und regional alles reibungslos. Verlegungen von Schwerverletzten in überregionale Traumazentren waren zunächst nicht notwendig. Nach der Leitstellenalarmierung hatten wir uns am Klinikum Großhadern auf das Schlimmste vorbereitet und neun Behandlungsteams mit entsprechenden OP- und Intensivkapazitäten zusammengestellt“, berichtet er.
Im Fall eines MANV gibt es in einem TraumaNetzwerk klar definierte Ablaufpläne. Dabei gelten so lange wie möglich die Qualitätsansprüche der individualmedizinischen Versorgung von Schwerverletzten.
Hintergrund:
Jährlich erleiden in Deutschland ca. 35.000 Menschen schwere Verletzungen bei Verkehrs-, Arbeits- oder Freizeitunfällen. Ihre Rettung und Behandlung ist ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem jeder Handgriff stimmen muss. 2006 schrieben Unfallchirurgen im Weißbuch Schwerverletztenversorgung die optimalen Bedingungen für die Versorgung von Schwerverletzten fest und gründeten die Initiative TraumaNetzwerk DGU®.
Heute, zehn Jahre später, erfüllen bundesweit rund 600 Traumazentren die Qualitätsvorgaben der DGU und sind in 51 zertifizierten TraumaNetzwerken (TNW) zusammengeschlossen. (2)
In den TraumaNetzwerken gibt es drei unterschiedliche Versorgungsstufen:
• Überregionale Traumazentren verfügen über die Kompetenz zur Behandlung besonders schwerer, komplexer oder seltener Verletzungen wie zum Beispiel Verletzungen der Hauptschlagader oder zur Replantation abgetrennter Gliedmaßen.
• Die regionalen Traumazentren bieten eine umfassende Notfallversorgung in einem breiten Leistungsspektrum, beispielsweise die Behandlung schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen.
• Die lokalen Traumazentren hingegen sichern die unfallchirurgische Grund-und Regelversorgung.
Um regional eine bestmögliche Versorgung zu sichern, kooperieren Traumazentren verschiedener Versorgungsstufen innerhalb eines TraumaNetzwerks. Durchschnittlich besteht ein TNW aus 14 Kliniken mit 8 lokalen, 4 regionalen und 2 überregionalen Traumazentren. Das Notfallnetz gewährleistet, dass der Rettungsdienst einen Notfall-Behandlungsraum eines Traumazentrums innerhalb von 30 Minuten erreichen kann – nicht nur in Ballungszentren, sondern auch in dünn besiedelten Gebieten. Darüber hinaus verfügt jede Klinik über den gesetzlich vorgeschriebenen Krankenhaus-Alarm- und Einsatzplan. Darin ist die Umstellung vom Regelbetrieb auf einen Notfallbetrieb beschrieben. Er umfasst Lage- und Ablaufpläne, Wege der Mitarbeiteralarmierung sowie ein situationsangepasstes Ressourcenmanagement.
Referenzen:
(1) zdf, heute, 10.02.2016: www.heute.de/schweres-zugunglueck-in-bad-aibling-oberbayern-mehrere-tote-42184010.html
(2) DGU-Pressemitteilung vom 29.10.2015: Unfallchirurgen spannen Notfallnetz über ganz Deutschland
(3) Frink M, Kühne C, Debus F et al. (2013) Das Projekt TraumaNetzwerk DGU®. Zielsetzung, Konzeption und bisher Erreichtes. Unfallchirurg 116:61–73
www.springermedizin.de/das-projekt-traumanetzwerkdgu/3734778.html
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